Solide Basis für Quantensimulationen
Ein in der Gruppe von Werner Wegscheider gefertigtes Halbleiterelement hat die Grundlage geschaffen für eine Quantensimulation des sogenannten Fermi–Hubbard-Modells, ein Schlüsselkonzept in der Festkörperphysik. Dieser Fortschritt in der experimentellen Erforschung der Quanten-Vielteilchenphysik basierend auf einem Halbleitermaterial wurde in der Zeitschrift Nature publiziert.
Die Gesetze der Quantenphysik beschreiben die Eigenschaften der kleinsten Bestandteile der Materie, wie etwa Atome oder Elektronen. Das Verhalten einzelner Teilchen kann mit extrem hoher Präzision vorhergesagt werden. Aber wenn mehrere Quantenteilchen miteinander wechselwirken, dann wird das Verhalten des gesamten Systems schnell zu komplex, um mittels analytischer Berechnungen oder Computersimulationen Vorhersagen machen zu können.
Diese Komplexität ist ein herausragendes Merkmal der Quantenphysik, und eine Möglichkeit diese zu bewältigen ist, das Verhalten von Quanten-Vielkörpersystemen mit sogenannten Quantensimulatoren nachzubilden. Quantensimulatoren sind technologische Plattformen, die auf präzise gesteuerten Elementen basieren, die selbst quantenmechanisches Verhalten zeigen. Und eine solche Plattform hat eine internationale Kollaboration von Forschern aus Delft (Niederlande), Maryland (USA) und Zürich nun entwickelt.
Störungen in Schach gehalten
Die Kollaboration unter der Leitung von Lieven Vandersypen von der Technischen Universität Delft hat Halbleiterelemente entwickelt, in denen einzelne Elektronen an definierten Orten gesammelt werden und die Wechselwirkungen zwischen ihnen präzise kontrolliert werden kann. Eine der grössten Herausforderungen für diesen Ansatzes zur Quantensimulation ist, dass das Material welches die Elektronen enthält niemals komplett fehlerfrei ist. Selbst kleinste Mängel im Material können das Verhalten der Elektronen stören. Dadurch wird es im Wesentlichen unmöglich, die Quanteneigenschaften der Elektronen genügend genau zu kontrollieren.
Dennoch hat das Team eine Strategie gefunden, um diese Störung zu unterdrücken. Sie kombinierten mehrere elektrische Felder — die jeweils vom Experimentator gesteuert werden können — in einer Weise, die auf das spezifische Halbleiterelement zugeschnitten ist. Dadurch konnten die einzelnen Elektronen und wie sie wechselwirken mit beispielloser Präzision und Flexibilität gesteuert werden.
Beinahe Perfektes perfektionieren
Das vorgestellte Verfahren um Materialfehlern entgegenzuwirken ist ein Durchbruch in diesem Gebiet. Damit es jedoch in der Praxis funktioniert, muss das verwendete Halbleitermaterial bereits nahezu perfekt sein und zudem robust genug, dass es wiederholt in Experimenten verwendet werden kann. Ein solches Material haben Christian Reichl und Werner Wegscheider von der „Advanced Semiconductor Quantum Materials“-Gruppe an der ETH Zürich geschaffen.
Dank ihrer Kompetenz in der Molekularstrahlepitaxie, einer leistungsstarken Methode zur Herstellung von Halbleitermaterialien, konnten Reichl und Wegscheider die Art von stabilen, hochreinen Proben lieferten, wie sie für diese anspruchsvollen Experimente benötigt werden. Nur wenige Gruppen weltweit verfügen über die Infrastruktur und das Know-how um Proben von solcher Qualität zu fertigen. Damit sind die ETH-Physiker auch wichtige Kollaborationspartner für Gruppen rund um den Erdball.
Eine feste Grundlage
Die Arbeit mit der Delft-Gruppe ist ein Paradebeispiel dafür, wie in Zürich gefertigte Materialien das Tor zu faszinierender Physik öffnen. Die Elektronen im Halbleiterelement konnten so präzise gesteuert werden, dass es möglich wurde, die Wechselwirkungen zwischen ihnen masszuschneidern. Die Wechselwirkungen wurden denn so gewählt, dass sie jene des sogenannten Fermi–Hubbard-Modells reproduzieren. Letzteres ist ein theoretisches Modell, das ein breites Spektrum elektronischer Materialien beschreibt und deshalb in der Festkörperphysik eine zentrale Rolle hat. Aber auch für ein idealisiertes System wie das Fermi–Hubbard-Modell ist es ausnehmend schwierig, die Eigenschaften von Quantensystemen zu berechnen die seinen Regeln folgen.
Mit einem praktischen Quantensimulator wie jenem, der nun präsentiert wurde, kann das Modell jedoch direkt in Experimenten erforscht werden. Bisher hat das Team Systeme von bis zu zwölf Elektronen untersucht, aber mit dem neuen Verfahren zur Unterdrückung von Störungen aufgrund von Unreinheiten sollte es in Zukunft möglich sein, mit grösseren Ensembles zu arbeiten. Schliesslich könnten solche Quantensimulationen einzigartige Einblicke in die elektrischen und magnetischen Eigenschaften von neuartigen Materialien liefern. Dieses Wissen sollte wiederum für praktische Anwendungen nützlich sein, um beispielsweise Materialien für Elektronikkomponenten zu finden oder zu entwerfen.
Verschiedene Wege, gleiche Ziele
Die in dieser Arbeit vorgestellte Quantensimulationsplattform ist eine von mehreren Ansätzen, die derzeit entwickelt werden, um experimentell Modelle zur Beschreibung von Quanten-Vielteilchensysteme zu untersuchen. Insbesondere hat die ETH-Gruppe von Tilman Esslinger in den vergangenen Jahren mehrere wegweisende Ergebnisse erzielt, indem sie Atome in mittels Laserlicht erzeugten Strukturen untersuchen, was eine sehr saubere Implementierung des Fermi-Hubbard-Modells ermöglicht. Weitere Ansätze werden experimentell und theoretisch im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Quantum Science and Technology (QSIT) erforscht, in welchem die ETH Zürich das führende Haus ist.
Die verschiedenen experimentellen Methoden sind nicht so sehr im Wettbewerb miteinander denn komplementär. Jede hat ihre eigenen Vorteile und Grenzen und eine faszinierende Aussicht ist, in Zukunft entweder mehrere Plattformen zu Hybrid-Geräten zu kombinieren oder die Ergebnisse zu vergleichen, die mit verschiedenen Quantensimulatoren erhalten werden.
Literaturhinweis
T. Hensgens, T. Fujita, L. Janssen, X. Li, C. J. Van Diepen, C. Reichl, W. Wegscheider, S. Das Sarma & L. M. K. Vandersypen, Quantum simulation of a Fermi–Hubbard model using a semiconductor quantum dot array. Nature 548, 70–73 (2017). doi: externe Seite 10.1038/nature23022
Links
- externe Seite call_made Medienmitteilung TU Delft
- chevron_right Gruppen-Website Advanced Semiconductor Quantum Materials (ETH)
- externe Seite call_made Gruppen-Website Vandersypen lab (TU Delft)
- externe Seite call_made Website Condensed Matter Theory Center (University of Maryland)
- chevron_right Projekt Quantensimulation, NFS QSIT