Fehlersuche in der Quantenwelt

Die Quantenmechanik ist eine experimentell bestens abgestützte Theorie. Doch nun führt ein Gedankenexperiment von ETH-Physikern zu unerwarteten Widersprüchen. Der Befund wirft grundsätzliche Fragen auf – und polarisiert auch die Fachwelt.

Was sieht ein Physiker, der ein Quantenobjekt untersucht? Das Gleiche wie der Beobachter des Physikers – oder gerade das Gegenteil? (Bild: Philip Bürli/Visualeyes International)
Was sieht ein Physiker, der ein Quantenobjekt untersucht? Das Gleiche wie der Beobachter des Physikers – oder gerade das Gegenteil? (Bild: Philip Bürli/Visualeyes International)

Es gibt wohl keine andere wissenschaftliche Theorie, die derart gut abgestützt ist wie die Quantenmechanik. Seit fast 100 Jahren wird sie immer und immer wieder mit hoher Präzision experimentell bestätigt. Und doch sind die Physiker nicht restlos glücklich. Denn die Quantenmechanik beschreibt zwar sehr genau das Geschehen auf der mikroskopischen Ebene. Doch bei grösseren Objekten stösst sie an ihre Grenzen – insbesondere wenn es sich um Objekte handelt, bei denen die Gravitationskraft eine Rolle spielt. So lässt sich etwa das Verhalten von Planeten mit der Quantenmechanik nicht beschreiben. Das ist nach wie vor die Domäne der allgemeinen Relativitätstheorie, die wiederum die Vorgänge im Kleinen nicht richtig zu beschreiben vermag. Viele Physiker träumen denn auch davon, die Quantenmechanik mit der Relativitätstheorie zu einem schlüssigen Bild unserer Welt zu verknüpfen.

Hin zu grösseren Objekten

Doch wie lassen sich zwei Theorien miteinander verbinden, die zwar beide in ihren Domänen die physikalischen Vorgänge sehr treffend beschreiben, aber eben doch sehr unterschiedlich sind? Ein möglicher Weg ist, quantenphysikalische Experimente mit immer grösseren Objekten durchzuführen. Die Hoffnung dabei: Irgendwann tauchen Unstimmigkeiten auf, die mögliche Lösungswege aufzeigen. Doch den Physikern sind dabei enge Grenzen gesetzt. Das berühmte Doppelspaltexperiment etwa, mit dem gezeigt werden kann, dass feste Partikel sich gleichzeitig wie Wellen verhalten, lässt sich mit Alltagsgegenständen nicht durchführen.

Mit Gedankenexperimenten hingegen lassen sich die Grenzen zur makroskopischen Welt überwinden. Genau das haben Renato Renner, Professor für theoretische Physik, und seine ehemalige Doktorandin Daniela Frauchiger nun in einer Publikation gemacht, die heute in der Zeitschrift «Nature Communications» veröffentlicht wird. Salopp gesagt betrachten die beiden in ihrem Gedankenexperiment einen hypothetischen Physiker, der ein quantenmechanisches Objekt untersucht, und berechnen dann mit Hilfe der Quantenmechanik, was der Physiker feststellen wird. Gemäss unserem heute gültigen Weltbild sollte diese indirekte Betrachtung zum gleichen Resultat führen wie die direkte Beobachtung. Doch die Berechnungen der beiden zeigen, dass dies gerade nicht der Fall ist: Die Voraussage, was der Physiker beobachten wird, ist gerade das Gegenteil dessen, was man direkt messen würde – eine paradoxe Situation.

Keine einfachen Lösungen

Obwohl das Gedankenexperiment erst jetzt offiziell in einer Wissenschaftszeitschrift publiziert wird, hat es in der Fachwelt bereits für Gesprächsstoff gesorgt. Da sich der Publikationsprozess immer wieder verzögerte, gibt es inzwischen bereits verschiedene andere Publikationen, die sich mit den Befunden befassen – auch das eine paradoxe Situation, wie Renner schmunzelnd anmerkt.

Die übliche erste Reaktion seiner Fachkollegen sei meistens, die Berechnungen anzuzweifeln, berichtet Renner. Doch bisher ist es niemandem gelungen, die Kalkulationen zu falsifizieren. Ein Gutachter räumte ein, er hätte inzwischen fünf Mal erfolglos versucht, einen Fehler in den Berechnungen zu finden. Andere Kollegen wiederum präsentierten konkrete Erklärungen, wie das Paradox gelöst werden kann. Doch bei näherem Hinsehen zeigte sich stets, dass es sich um Ad-hoc-Lösungen handelt, mit denen sich das Problem nicht aus der Welt schaffen lässt.

Irritierende Schlussfolgerungen

Bemerkenswert findet Renner, dass das Thema offenbar polarisiert. Einige Kollegen hätten auf seine Ergebnisse sehr emotional reagiert, stellt er erstaunt fest. Das liegt wohl daran, dass die zwei naheliegenden Schlussfolgerungen aus Renners und Frauchigers Befunden gleichermassen irritierend sind. Die eine Erklärung ist, dass die Quantenmechanik offensichtlich nicht wie bisher angenommen universell anwendbar ist und demnach nicht auf grössere Objekte angewendet werden kann. Doch wie kann es sein, dass eine Theorie, die experimentell immer wieder so deutlich bestätigt wurde, inkonsistent ist? Die andere Erklärung lautet, dass es offenbar nicht nur in der Politik, sondern auch in der Physik keine klaren Fakten gibt und dass es neben dem, was wir für wahr halten, auch noch andere Möglichkeiten gibt.

Mit beiden Interpretationen tut sich Renner schwer. Er ist vielmehr überzeugt, dass sich das Paradox auf andere Weise lösen wird: «Wenn man in der Geschichte zurückblickt, dann kam die Lösung in solchen Momenten oft von unerwarteter Seite», erklärt er. So basiert beispielsweise die allgemeine Relativitätstheorie, mit der Widersprüche in der Newtonschen Physik aufgelöst werden konnten, auf der Einsicht, dass das damals noch gängige Konzept der Zeit falsch war. «Unsere Aufgabe besteht nun darin zu prüfen, ob wir bei unserem Gedankenexperiment nicht Annahmen getroffen haben, die wir in dieser Form nicht hätten treffen dürfen», erklärt Renner. «Wer weiss, vielleicht müssen wir sogar unsere Vorstellung von Raum und Zeit nochmals revidieren.» Für Renner wäre das durchaus eine reizvolle Option: «Nur wenn wir bisherige Theorien fundamental überdenken, gelangen wir zu tieferen Einsichten, wie die Natur wirklich funktioniert.»

Literaturhinweis

Frauchiger D, Renner R: Quantum theory cannot consistently describe the use of itself. Nature Communications, 18. September 2018, doi: externe Seite 10.1038/s41467-018-05739-8

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