Eine Quantenpumpe ohne Kurbel
ETH-Forschende zeigen, wie Atome durch einen synthetischen Kristall gepumpt werden können, ohne dass ein externer periodischer Antrieb nötig ist. Diese Experimente kombinieren mehrere Schlüsselaspekte der Quantenvielteilchenphysik auf unerwartete Weise und ebnen so einen Weg zu neuem grundlegendem Verständnis und zur Erzeugung exotischer Zustände von Quantenmaterie.
Pumpen sind, kurz gesagt, Geräte, die zyklische Bewegungen nutzen, um Materie in eine bestimmte Richtung zu transportieren. In einer Fahrradpumpe wird durch das wiederholte Auf- und Abwärtsbewegen eines Kolbens ein gerichteter Luftstrom erzeugt. Bei einer archimedischen Schneckenpumpe (siehe Bild unten) wird Wasser durch das Drehen einer Kurbel zwischen verschiedenen Reservoirs befördert. Ähnliche Konzepte wurden auch in Quantensystemen erforscht, insbesondere um Elektronen einzeln durch Festkörpermaterialien zu transportieren und dadurch einen quantisierten Strom zu erzeugen. Nun hat ein Team um Dr. Tobias Donner, Senior Scientist in der Gruppe von Prof. Tilman Esslinger am Institut für Quantenelektronik, der Geschichte eine überraschende Wendung gegeben. In der Zeitschrift Nature beschreiben sie Experimente, in denn sie eine Quantenpumpe betreiben, die keinen periodischen Antrieb von aussen benötigt — eine Pumpe, die sich ohne Kurbel dreht.
Die Suche nach neuen Rätseln
Das Team von Esslinger und Donner arbeitet nicht mit Elektronen in Festkörpermaterialien, sondern mit Atomen, die in komplexen Strukturen eingeschlossen sind, die durch sich kreuzende Laserstrahlen erzeugt werden. Solche synthetischen Kristalle haben den Vorteil, dass sowohl die Atome als auch das Kristallgitter mit äusserster Präzision und grosser Flexibilität gesteuert werden können. Die Plattform kann dann dazu genutzt werden, entweder bekannte Effekte besser zu verstehen oder um Szenarien zu entwickeln, in denen sich Quantensysteme auf unvorhergesehene Weise verhalten. Im Idealfall werden so neue Phänomene der Quantenphysik entdeckt. Und genau das hat das Team in der jetzt vorgestellten Arbeit erreicht.
Ein wesentlicher Bestandteil ihres Experiments ist ein optischer Hohlraum, in dem der synthetische Kristall gebildet wird. Der Hohlraum dient dazu, eine Kopplung zwischen den Atomen und den beteiligten Lichtfeldern zu vermitteln. Darüber hinaus bilden aus dem Hohlraum austretenden Photonen einen Dissipationskanal, über den die Experimentatoren ebenfalls eine ausgezeichnete Kontrolle haben. Ein solches System mit Dissipation wird als offenes Quantensystem bezeichnet. Wichtig ist, dass Dissipation, wenn sie angemessen kontrolliert wird, eher ein Vorteil als ein Ärgernis sein kann: externe Seite 2019 fanden Mitglieder der Esslinger-Gruppe heraus, dass Photonen, die aus dem Hohlraum austreten, verschiedene Konfigurationen eines synthetischen Kristalls koppeln können, was zu einer Dynamik führt, die zwischen diesen Konfigurationen oszilliert.
Vorankommen durch Kreisen
Die grosse Überraschung, die zu der jetzt veröffentlichten Arbeit führte, war die experimentelle Beobachtung, dass die in der synthetischen Kristallstruktur gefangenen Atome sich zu bewegen begannen. Durch verschiedene Messungen und numerische Simulationen konnten die Forschenden den Mechanismus hinter der atomaren Bewegung identifizieren: Der synthetische Kristall wickelte sich periodisch zwischen verschiedenen Strukturen hin und her, so dass der Massenschwerpunkt der Atome bei jedem Zyklus um einen festen Betrag räumlich verschoben wurde – in verblüffender Analogie zur chiralen Aufwärtsbewegung in einer archimedischen Pumpe. Durch die sorgfältige Analyse des Lichtfeldes, das aus dem Hohlraum austritt, gewannen die ETH-Physiker detaillierte Einblicke in den Mechanismus und charakterisierten das Zusammenspiel zwischen Hohlraumdissipation und quantisiertem Pumpen.
Wer dreht die Kurbel?
Das Besondere an diesen Experimenten im Vergleich zu früheren Realisierungen von Quantenpumpen – und im Gegensatz zu unserer Vorstellung von einer Pumpe im Allgemeinen – ist, dass ein Teilchenstrom beobachtet wird, ohne dass ein externer periodischer Antrieb vorliegt. Was den Strom antreibt, ist die Dissipation aus dem Hohlraum, was zu einem "selbstschwingenden" Pumpen führt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass sich die Atomkonfigurationen, zwischen denen das System oszilliert, auf einer sehr fundamentalen Ebene unterscheiden, indem sie nämlich unterschiedliche sogenannte Topologien besitzen. In der Praxis bedeutet dies, dass der gezeigte Transportmechanismus stabil gegenüber externen Störungen und auch robust gegenüber der detaillierten Form des Pumpprotokolls sein sollte.
Dies sind vielversprechende Erkenntnisse. Topologie und offene Quantensysteme sind beide sehr aktive Forschungsgebiete der modernen Physik. Die Verbindung zwischen diesen beiden Bereichen verspricht nicht nur eine Plattform um Quantenvielteilchentheorien zu testen, sondern auch ein praktisches Werkzeug für die Realisierung exotischer Zustände von Quantenmaterie.
Literaturhinweis
Dreon D, Baumgärtner A, Li X, Hertlein S, Esslinger T & Donner T: Self-oscillating pump in a topological dissipative atom–cavity system. Nature 608, 494–498 (2022). externe Seite DOI:10.1038/s41586-022-04970-0 externe Seite (Frei zugängliche Version)