Freie Bahn für Elektronen verbessert die Erzeugung weicher Röntgenstrahlung
Nicht nur für unsere alltägliche Mobilität sind Verkehrsbehinderungen ein Ärgernis, auch für kleinste Teilchen wie Elektronen können diese negative Konsequenzen mit sich bringen. Wollen Physikerinnen und Physiker sehr schnelle Dynamik in der Materie mittels weicher Röntgenstrahlung untersuchen, ist freie Bahn für Elektronen gefordert.
Diese Grundlagenforschung bewegt sich in winzigen und ultraschnellen Dimensionen. Viele grundlegende Prozesse, die in Atomen und Molekülen ablaufen, finden im Attosekundenbereich statt – also bloss in einem Milliardstel einer Milliardstel (10-18) Sekunde. Eine Möglichkeit, solche ultraschnellen Phänomene zu untersuchen, besteht darin, ein ähnliches Prinzip wie bei der Blitzlichtfotografie anzuwenden, bei der ein kurzer Lichtblitz die Bewegung «einfriert». Allerdings können selbst modernste Laser keine Impulse erzeugen, die kürzer als ein paar Femtosekunden (10-15) sind – sie erreichen also die gewünschte «Attosekunden-Belichtungszeit» nicht. Die Frage ist, wie man ausreichend kurze und helle Pulse für die gewünschte Untersuchung erhält.
Die Suche nach hellen Attosekunden-Pulsen
Physiker der ETH Zürich haben beim Erzeugen von Impulsen aus weicher Röntgenstrahlung mit Elektronen etwas Interessantes entdeckt: Wenn Elektronen in ihrer Bewegungsfreiheit behindert werden – zum Beispiel durch Zusammenstösse mit benachbarten Atomen – leidet die Qualität der Pulse erheblich.
Diese Röntgenstrahlen haben ähnliche Eigenschaften wie Laserstrahlen, können aber noch kürzere Pulse bilden. Um die schnellste Dynamik in der Materie zu untersuchen, müssen die Pulse so hell und so kurz wie möglich sein. Wird die Bewegung der Elektronen behindert, verliert das Licht seine laserähnlichen Eigenschaften und seine Bündelung zu Attosekunden-Pulsen. Dies macht das Licht einer solchen Quelle für die Untersuchung ultraschneller Prozesse unbrauchbar.
Laserähnliche weiche Röntgenstrahlung
In einem extrem nichtlinearen Prozess – der Erzeugung sogenannter Hoher Harmonischer, einem Phänomen der Hochintensitätslaserphysik – können Attosekunden-Pulse im extremen Ultraviolett oder in weicher Röntgenstrahlung erzeugt werden. Herkömmliche Quellen in diesen Spektralbereichen emittieren Licht in alle Richtungen, was zu einer geringen Helligkeit der Röntgenstrahlung führt. Hohe Harmonische erzeugen hingegen durch Wechselwirkung intensiver Pulse mit Gasatomen einen laserähnlichen Strahl.
Ein Atom, ein Elektron, und das war's!
Der Prozess der Erzeugung hoher Harmonischer wurde vor etwa 30 Jahren erstmals mit einem Modell erklärt [2]. Diese sehr erfolgreiche Theorie beschreibt lediglich ein Atom und ein Elektron und geht implizit davon aus, dass die Bewegung des laserbeschleunigten Elektrons am Ursprung des Röntgenstrahls nicht durch andere Teilchen im Gas behindert wird. Wie nun in einer neuen in der Zeitschrift «Optica» veröffentlichten Studie festgestellt worden ist, entspricht das jedoch nicht den Bedingungen, wie sie mit heutigen Lasern bei der Erzeugung weicher Röntgenstrahlung via Hoher Harmonischer in der Regel auftreten.
Ein Gedränge von Atomen
Pierre-Alexis Chevreuil, ehemaliger Doktorand am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich und seine Mitautoren zeigen in der Studie experimentell, dass diese «Einzelkollisionsbedingung» im weichen Röntgenlicht nicht mehr gilt. Am Ursprung des Röntgenstrahls werden die Elektronen durch benachbarte Atome im Gas gestört. Dies führt zu einer Abnahme der Helligkeit des Röntgenstrahls und zu einem Verlust der laserähnlichen Eigenschaften. Die Autoren gehen auch davon aus, dass die Röntgenstrahlung in diesem Fall nicht mehr in Form von Attosekunden-Pulsen emittiert wird, wie dies beim Prozess der Erzeugung Hoher Harmonischer sonst eigentlich der Fall wäre.
Die Forscher zeigen gleichzeitig auch auf, unter welchen Bedingungen sich die gewünschten Eigenschaften der Strahlung wieder herstellen lassen. Mit dieser Erkenntnis machen sie den Weg frei, die Qualität der Lichtimpulse, die für die Grundlagenforschung zu sehr schneller Dynamik in der Materie notwendig sind, deutlich zu verbessern.
Literaturhinweise
[1] P.-A. Chevreuil, F. Brunner, U. Thumm, U. Keller, and L. Gallmann, “Breakdown of the single-collision condition for soft X-ray high harmonic generation in noble gases”, Optica 9, 11 (2022). externe Seite DOI:10.1364/OPTICA.471084
[2] P. B. Corkum, “Plasma perspective on strong field multiphoton ionization”, Physical Review Letters 71, 13 (1993). externe Seite DOI:10.1103/PhysRevLett.71.1994
[3] S. Hrisafov, J. Pupeikis, P.-A. Chevreuil, F. Brunner, C. R. Phillips, L. Gallmann, and U. Keller, “High-power few-cycle near-infrared OPCPA for soft X-ray generation at 100 kHz”, Optics Express 28, 26 (2020). externe Seite DOI:10.1364/OE.412564