Ein behutsamer Umgang mit mechanischen Quantensystemen
- Laboratory for Solid State Physics (LFKP)
- Quantenwissenschaften
Systeme, in denen die mechanische Bewegung auf der Ebene einzelner Quanten gesteuert wird, entwickeln sich zu einer vielversprechenden Plattform für Quantentechnologien. Eine neue experimentelle Arbeit zeigen nun, wie die Quanteneigenschaften solcher Systeme gemessen werden können, ohne den Quantenzustand zu zerstören – eine wichtige Voraussetzung für die Erschliessung des vollen Potenzials mechanischer Quantensysteme.
Wenn man an quantenmechanische Systeme denkt, dann kommen einem vielleicht zunächst einzelne Photonen und wohlisolierte Ionen und Atome in den Sinn, oder Elektronen, die sich in einem Kristall ausbreiten. Exotischer im Kontext der Quantenmechanik sind veritable mechanische Quantensysteme; sprich, massive Objekte, in denen mechanische Bewegungen wie z. B. Schwingungen quantisiert sind. In einer Reihe von bahnbrechenden Experimenten wurden in mechanischen Systemen grundlegende quantenmechanische Eigenschaften beobachtet, darunter Energiequantisierung und Verschränkung. Im Hinblick auf die Nutzung solcher Systeme für fundamentale Studien und technologische Anwendungen ist die Beobachtung von Quanteneigenschaften jedoch nur ein erster Schritt. Der nächste besteht darin, die Handhabung mechanischer Quantenobjekte zu beherrschen, so dass ihre Quantenzustände kontrolliert, gemessen und schliesslich in passenden Strukturen genutzt werden können. Die Gruppe von Yiwen Chu am Laboratorium für Festkörperphysik der ETH Zürich hat nun wichtige Fortschritte in diese Richtung gemacht. In der Fachzeitschrift Nature Physics berichten sie, wie sie Informationen über ein mechanisches Quantensystem gewonnen haben, ohne den kostbaren Quantenzustand zu zerstören. Diese Arbeit ebnet den Weg für Anwendungen wie die Quantenfehlerkorrektur, und darüber hinaus.
Massive Quantenmechanik
Als mechanisches System verwenden die ETH-Forschenden einem Chip aus hochwertigem Saphir, der knapp einen halben Millimeter dick ist. Auf seiner Oberseite sitzt ein dünner piezoelektrischer Wandler, der akustische Wellen anregen kann, die an der Unterseite reflektiert werden und sich so über ein wohldefiniertes Volumen im Inneren des Chips erstrecken. Bei diesen Anregungen handelt es sich um die kollektive Bewegung einer grossen Anzahl von Atomen, die Bewegung ist aber dennoch gequantelt (in Energieeinheiten, die als Phononen bezeichnet werden). Zumindest im Prinzip können an den akustischen Bewegungszuständen Quantenoperationen durchgeführt werden, und zwar in ähnlicher Weise wie bei die Quantenzustände von Atomen, Photonen und Elektronen. Bemerkenswerterweise ist es möglich, den mechanischen Resonator mit anderen Quantensystemen zu verbinden, insbesondere mit supraleitenden Qubits. Letztere sind winzige elektronische Schaltkreise, in denen elektromagnetische Energiezustände quantisiert sind. Diese Qubits sind derzeit eine der führenden Plattformen für den Bau skalierbarer Quantencomputer. Die mit dem supraleitenden Schaltkreis verbundenen elektromagnetischen Felder ermöglichen die Kopplung des Qubits an den piezoelektrischen Wandler des akustischen Resonators und damit an dessen mechanische Quantenzustände.
In solchen Hybridbausteinen, die Qubits und Resonatoren zusammenkoppeln, kann das Beste aus zwei Welten kombiniert werden. Insbesondere können die hochentwickelten Rechenfähigkeiten supraleitender Qubits synchron mit der Robustheit und langen Lebensdauer akustischer Moden genutzt werden, die dann als Quantenspeicher oder Wandler dienen können. Für solche Anwendungen reicht es jedoch nicht aus, lediglich die Zustände von Qubits und Resonatoren zu koppeln. Eine einfache Messung des Quantenzustands im Resonator würde den Zustand zerstören, was wiederholte Messungen unmöglich macht. Stattdessen muss es möglich sein, Informationen über den mechanischen Quantenzustand auf sanftere und kontrolliertere Weise zu gewinnen.
Der nicht-destruktive Pfad
Ein Protokoll für solche sogenannten «zerstörungsfreien Quantenmessungen» zu demonstrieren, ist nun Chus Doktoranden Uwe von Lüpke, Yu Yang und Marius Bild in Zusammenarbeit mit dem Branco-Weiss-Stipendiaten Matteo Fadel und mit Unterstützung des Semesterprojektstudenten Laurent Michaud gelungen. Bei ihren Experimenten fand während der Messung kein direkter Energieaustausch zwischen dem supraleitenden Qubit und dem akustischen Resonator statt. Stattdessen wurden die Eigenschaften des Qubits von der Anzahl der Phononen im akustischen Resonator abhängig gemacht, ohne dass der mechanische Quantenzustand direkt «berührt» werden musste – man denke an ein Theremin, das Musikinstrument, bei dem die Tonhöhe von der Position einer Hand der Musikerin oder des Musikers abhängt, ohne dass ein physischer Kontakt mit dem Instrument besteht.
Ein Hybridsystem zu schaffen, in dem sich der Zustand des Resonators im Spektrum des Qubits widerspiegelt, ist eine grosse Herausforderung. Es gibt strenge Anforderungen daran, wie lange die Quantenzustände sowohl im Qubit als auch im Resonator aufrechterhalten werden können, bevor sie aufgrund von Unvollkommenheiten im Material und Störungen von aussen verschwinden. Die Aufgabe des Teams bestand also darin, die Lebensdauer der Quantenzustände sowohl des Qubits als auch des Resonators zu verlängern. Und das ist ihnen gelungen, indem sie eine Reihe von Verbesserungen vorgenommen haben, darunter die sorgfältige Auswahl des Typs des verwendeten supraleitenden Qubits und dadurch, dass sie ihr Hybridgerät in einem supraleitenden Aluminiumhohlraum eingeschlossen haben, um eine gute elektromagnetische Abschirmung zu gewährleisten.
Quanteninformationen nach Bedarf
Nachdem sie ihr System erfolgreich in den gewünschten Betriebsregime (das sogenannten «stark dispersive Regime») gebracht hatten, konnte das Team die Verteilung der Phononenzahl in ihrem akustischen Resonator nach Anregung mit verschiedenen Amplituden ermitteln. Darüber hinaus demonstrierten sie eine Möglichkeit, mit einer einzigen Messung festzustellen, ob die Anzahl der Phononen im Resonator gerade oder ungerade ist – eine so genannte Paritätsmessung –, ohne etwas anderes über die Verteilung der Phononen zu erfahren. Solche sehr spezifische Informationen zu erhalten, aber keine andere, ist für eine Reihe von quanten-technologischen Anwendungen entscheidend. So kann beispielsweise eine Änderung der Parität (ein Übergang von einer ungeraden zu einer geraden Zahl oder umgekehrt) signalisieren, dass ein Fehler den Quantenzustand beeinflusst hat und eine Korrektur erforderlich ist. Dabei ist es natürlich wichtig, dass der zu korrigierende Zustand nicht zerstört wird.
Bevor eine Umsetzung solcher Fehlerkorrekturschemata möglich ist, ist jedoch eine weitere Verfeinerung des Hybridsystems erforderlich, insbesondere um die Qualität der Quantennoperationen weiter zu verbessern. Die Quantenfehlerkorrektur ist jedoch bei weitem nicht die einzige Anwendung, die sich am Horizont abzeichnet. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es eine Fülle von vielversprechenden theoretischen Vorschlägen für Quanteninformationsprotokolle sowie für grundlegende Studien, die von der Tatsache profitieren, dass die akustischen Quantenzustände in massiven Objekten «leben». Diese bieten beispielsweise einzigartige Möglichkeiten, die Gültigkeit der Quantenmechanik im Grenzbereich grosser Systeme zu erforschen oder die mechanischen Quantensysteme als Sensoren zu nutzen.
Literaturhinweis
von Lüpke U, Yang Y, Bild M, Michaud L, Fadel M & Chu Y: Parity measurement in the strong dispersive regime of circuit quantum acoustodynamics. Nature Physics externe Seite DOI: 10.1038/s41567-022-01591-2 (2022). (externe Seite Frei zugängliche Version)
Weitere Literatur
Navarathna A & Bowen WP: Good vibrations for quantum computing. Nature Physics externe Seite DOI: 10.1038/s41567-022-01613-z (2022).
(begleitender News-&-Views-Artikel)