Kosmische Entfernungen messen um das expandierende Universum zu verstehen
Die Gruppe von Alexandre Refregier wertet aufwändig gesammelte Daten aus, um die Natur der dunklen Materie, der dunklen Energie und des expandierenden Universums zu erforschen.
Im Oktober hat die Physics of the Accelerating Universe Survey (PAUS)-Kollaboration ihre ersten Daten veröffentlicht. Als Mitglied der PAUS-Kollaboration hat die Cosmology Research Group von Professor Alexandre Refregier zu diesem Projekt beigetragen und freut sich nun darauf, weitere Erkenntnisse aus den veröffentlichten Daten zu gewinnen. Wir sprachen mit Refregier, um die Bedeutung von Durchmusterungen wie PAUS zu verstehen.
Welche Rolle spielte Ihre Gruppe bei der Vorbereitung von PAUS?
Unsere Gruppe hat sich relativ früh an der Erhebung beteiligt und war an der Analyse der allerersten Daten von PAUS beteiligt. Einer unserer Doktoranden, Luca Tortorelli, entwickelte eine neue Methode zur Analyse von PAUS-Daten. Die Methode, die als Vorwärtsmodellierung und Bayes'sche Näherungsrechnung bezeichnet wird, erzeugt simulierte Daten, die er dann zur Interpretation der realen PAU-Daten verwendet. Die Modelle, welche die Galaxien und das Universum beschreiben, sind sehr komplex. Daher müssen wir unsere Modelle an reale Daten anpassen, um ihre Gültigkeit zu überprüfen: Das kann man sich als Kalibrierungsverfahren vorstellen. Wir kennen zum Beispiel nicht die genauen Werte der Parameter, welche die dunkle Energie und dunkle Materie beschreiben, aber wir wissen, dass sie innerhalb eines bestimmten Bereichs liegen. Luca erstellte simulierte PAU-Daten unter der Annahme bestimmter Werte für diese Parameter und verglich die daraus resultierenden Ergebnisse mit den realen Daten. Wenn das Modell mit den Messungen übereinstimmte, wurde es als konsistent angesehen; wenn nicht, wurde es verworfen. In der Astrophysik testen verschiedene Gruppen verschiedene Ansätze an denselben Daten. Anschließend vergleichen sie ihre Ergebnisse, um herauszufinden, ob sie miteinander übereinstimmen.
Können Sie uns etwas über PAUS und seine Instrumente erzählen?
Es ist ein sehr neuer Messansatz. In der Astrophysik gibt es normalerweise zwei Ansätze. Der eine wird als photometrische Technik bezeichnet und beruht auf einem Instrument, das Bilder des Himmels mit verschiedenen Breitband-Frequenzfiltern aufnimmt. Jede Messung entspricht einer anderen Wellenlänge, und die gesammelten Daten können dann durch Kombination der mit verschiedenen Filtern aufgenommenen Bilder analysiert werden. Der andere Ansatz ist eine spektroskopische Untersuchung, bei der das Spektrum von Galaxien gemessen wird. Die beiden Methoden liefern unterschiedliche, sich ergänzende Informationen. Die spektroskopische Untersuchung liefert fein aufgelöste Informationen über die Wellenlängenverteilung des von einem Objekt abgestrahlten Lichts: Damit lässt sich seine Rotverschiebung genau bestimmen, die wir als Mass für die Entfernung dieses Objekts von uns verwenden. Die spektroskopische Untersuchung ist jedoch zeitaufwändig und schränkt daher die Anzahl der Galaxien ein, die mit diesem Ansatz beobachtet werden können. Im Gegensatz dazu können wir mit der bildgebenden Methode viele Galaxien auf einmal entdecken, aber die Entfernungsmessungen sind weniger präzise.
Das PAU-Instrument ist eine Weitwinkelkamera, die grosse Teile des Himmels in einer einzigen Aufnahme erfassen kann. Sie verwendet eine grosse Anzahl von Schmalbandfiltern mit einem fortschrittlichen Mechanismus, der es ermöglicht, zwischen ihnen zu wechseln. Sie ist auf dem William-Herschel-Teleskop auf den Kanarischen Inseln installiert. Die PAU-Kamera ist eine Spitzentechnologie: Sie ermöglicht es uns, Schmalbandbilder für große Bereiche des Himmels umfassend zu messen. Da es sich um eine neue Art der Datenaufnahme handelt, benötigen wir neue Analysemethoden. Das PAUS-Projekt ist eine Zusammenarbeit, an der eine Vielzahl von Gruppen beteiligt sind.
Was können Sie durch die Datananalyse nun untersuchen?
Das Hauptziel der Untersuchen ist die Messung der dreidimensionalen Verteilung von Galaxien im Universum. Warum? Weil Galaxien die Verteilung der sichtbaren Materie im Universum nachzeichnen. Durch die Untersuchung dieser Verteilung können wir Informationen über dunkle Materie und dunkle Energie ableiten. Wenn sich das Licht von fernen Galaxien zu uns bewegt, wird es durch das Vorhandensein von dunkler Materie gebeugt: ein Phänomen, das man als Gravitationslinsen bezeichnet. Alles, was Masse hat, krümmt das Licht bis zu einem gewissen Grad. In unserem derzeitigen kosmologischen Modell besteht die dunkle Materie aus unbekannten Teilchen, die im gesamten Universum verteilt sind.
Können Sie uns mehr über dunkle Materie und dunkle Energie erzählen?
Wir können die dunkle Materie zwar nicht direkt sehen, aber wir beobachten ihre Gravitationswirkung. Daher wissen wir, dass sie im Universum weit verbreitet ist. Insbesondere beugt die dunkle Materie aufgrund ihrer Masse das Licht. Verbesserte Entfernungsschätzungen aus Experimenten wie der PAU-Untersuchung helfen uns, Daten von Gravitationslinsen zu interpretieren und die Verteilung der dunklen Materie über die Zeit genauer zu kartieren. Dadurch erhalten wir Einblicke in die Bestandteile des Universums, z. B. wie viel dunkle Materie existiert und welche Eigenschaften sie hat. Eine weitere mysteriöse Komponente ist die dunkle Energie. Die dunkle Energie beschleunigt die Expansion des Universums. Die Beschleunigungsrate hängt von der Menge und den Eigenschaften der dunklen Energie ab. Diese Beschleunigung beeinflusst die Art und Weise, wie sich Strukturen im Universum bilden. Wir wissen, dass es zwei entgegengesetzte Prozesse gibt: die Anziehungskraft der Schwerkraft, die die Strukturen wachsen lässt, und die dunkle Energie, die sie auseinander zieht. Durch die Untersuchung grossräumiger Strukturen im Universum erhalten wir Einblick in die dunkle Materie und die dunkle Energie. Das ist der Grund, warum diese Messungen so wichtig sind.
Wie hängt die PAU-Untersuchung mit der Verleihung des Nobelpreises für Physik 2011 an Saul Perlmutter, Brian Schmidt und Adrian Reiss (PSR) zusammen?
Die Ergebnisse von PSR haben gezeigt, dass sich die Expansion des Universums beschleunigt, und jetzt wollen wir verstehen, warum. Man geht davon aus, dass die dunkle Energie gleichmäßig im Raum verteilt ist. Die Messung der beschleunigten Expansion des Universums kann uns helfen, unser Verständnis davon zu verbessern. Albert Einstein führte das Konzept der kosmologischen Konstante ein, das eine Erklärung für die dunkle Energie liefern kann. Ursprünglich fügte er die Konstante in seine Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie ein, um zu verhindern, dass sich das Universum ausdehnt. Die kosmologische Konstante – mit umgekehrtem Vorzeichen gegenüber Einsteins Vorschlag – kann zu einer beschleunigten Expansion des Universums führen. Heute wissen wir, dass sich die Ausdehnung des Universums beschleunigt, und die Messungen haben bisher das Vorhandensein einer kosmologischen Konstante bestätigt. Es bestehen jedoch noch Unsicherheiten, und möglicherweise müssen wir das Standardmodell der Kosmologie anpassen. Aus diesem Grund ist PAUS so wichtig – sie ermöglicht eine bessere Abschätzung der Entfernung und trägt somit dazu bei, unser Verständnis von dunkler Energie und dunkler Materie zu verfeinern.
Was ist der Unterschied zwischen PAUS und dem GAIA-Projekt?
GAIA verwendet ebenfalls photometrische und spektroskopische Techniken, aber die Messungen werden mit zwei separaten Instrumenten durchgeführt. Das Schöne an GAIA ist, dass es die Positionen sehr genau misst und sich auf Sterne und nicht auf Galaxien im Entfernungsbereich unserer Galaxie fokussiert. Mit PAUS decken wir weitaus größere Entfernungen ab. Unsere Galaxie ist, nun ja, in astrophysikalischer Hinsicht nahe.
Aus dem Englischen übersetzt von Kilian Kessler
Literaturhinweis
Navarro-Gironés, D. et al. The PAU survey: photometric redshift estimation in deep wide fields. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 534 1504-1527 (2024). externe Seite DOI:10.1093/mnras/stae1686
Weitere Lektüre
externe Seite Press release vom Institute of Space Sciences (ICE-CSIC)
externe Seite Physics of the Accelerating Universe Survey (PAUS)