Eine Qubit-Regularisierung der asymptotischen Freiheit ohne Feinabstimmung
Marina Marinkovic untersucht die starke Wechselwirkung, die Quarks durch Austausch von Gluonen zusammenhält, wie es die Quantenchromodynamik beschreibt.
Dazu verwendet sie Computer-Simulationen. Zum Vergleich: In der Quantenelektrodynamik kann man niederenergetische Prozesse störungstheoretisch berechnen. In der Quantenchromodynamik (QCD) können nur hochenergetische Prozesse störungstheoretisch berechnet werden, niederenergetische hingegen nicht. Durch die Diskretisierung der Raumzeit versucht man, dieses Problem zu lösen; die Niederenergie-Eigenschaften der QCD werden auf einem Raumzeit-Gitter, mithilfe von numerischen Simulationen, auf Grosscomputern untersucht. Um Erfahrungen zu sammeln, werden interessante Eigenschaften der QCD, wie die asymptotische Freiheit, auch in einfacheren Theorien untersucht. Solche Untersuchungen dienen als Machbarkeits-Studien für neue Berechnungsmethoden. Neue Forschungsergebnisse zur sog. Qubit-Regularisierung von asymptotisch freien Quantenfeldtheorien (QFT) wurden von Professor Marinkovic und Mitautoren an der Duke University in den USA und am Saha Institut in Indien kürzlich in den Physical Review Letters publiziert.
In Ihrer Arbeit verwenden Sie einen neuen Ansatz zur Simulation von Gitter-Feldtheorien, verglichen mit konventionellen Methoden in der Gitter-QCD. Wie unterscheidet sich Ihre Strategie von konventionelleren Methoden?
Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt im Gebiet von Quantenfeldtheorien im Kontinuum, d.h. auf der üblichen Raumzeit. Solche Theorien weisen bei hohen Energien bekanntlich Unendlichkeiten auf, die der Renormierung bedürfen. Eine Diskretisierung der Raumzeit dient dazu, solche Unendlichkeiten zu regularisieren. Wir gehen nun noch einen Schritt weiter und ersetzen die ursprünglichen Freiheitsgrade der QFT durch sog. Qubits und entfernen damit alle Unendlichkeiten. Unseres Wissens geschieht es in unserer neuen Arbeit zum ersten Mal, dass der sog. Berezinskii-Kosterlitz-Thouless (BKT) Phasenübergang mit Hilfe der Qubit-Diskretisierung ohne Parameter Feinabstimmung nachgewiesen werden kann. Eine Form asymptotischer Freiheit ist eine Eigenschaft einer bestimmten Theorie, die einen BKT-Phasenübergang aufweist. Doch ist die asymptotische Freiheit eben auch eine fundamentale Eigenschaft anderer Theorien, insbesondere der QCD. Deshalb untersuchen wir einfachere Theorien mit Formen asymptotischer Freiheit.
In meiner Gruppe untersuchen wir aber vor allem die starke Wechselwirkung, und zwar indem wir die QCD auf einem vier-dimensionales Raumzeit-Gitter definieren. Um unsere Methoden und unsere neuartigen Algorithmen zu testen, haben wir nun zunächst niedrig-dimensionale Theorien und vereinfachte Modelle untersucht. In unserer kürzlich erschienenen Arbeit haben wir ein spezielles Modell in nur zwei Dimensionen untersucht, das unter dem Namen XY-Modell bekannt ist: Es beschreibt zwei-komponentige klassische Spins, die sich auf allen Punkten eines Raumzeit-Gitters befinden. Die Qubit-Regularisierung ersetzt die klassischen Spins durch sog. Qubits. Man kann dann den Hamilton Operator der Theorie als einen Operator auf einem endlich-dimensionalen Hilbert-Raum auffassen. In der konventionellen Gitterregularisierung ist dies nicht der Fall; man hat unendlich-dimensionale Hilberträume zu benutzen. Die Motivation, die Qubit-Regularisierung von Quantenfeldtheorien, die mit endlich-dimensionalen Hilberträumen auskommt, zu entwickeln, liegt darin, dass sie zukünftig auf einem Quantencomputer simuliert werden könnten.
Wie dient das aus der Physik der kondensierten Materie stammende XY-Modell dem Ziel, die Prozesse der Teilchenphysik zu berechnen?
In der Festkörperphysik werden oft Modelle der statistischen Mechanik, wie das XY-Modell, verwendet. Aber auch in der Teilchenphysik sind solche Modelle nützlich. Wir versuchen eben, die starken Wechselwirkungen mit Hilfe der Gitter-QCD zu verstehen. Die Untersuchung von Gittertheorien stützt sich auf Werkzeuge der statistischen Physik. Wir verwenden solche Werkzeuge, um zunächst einfachere Modelle zu untersuchen, um anschliessend die gewonnenen Erkenntnisse auf vier-dimensionale Theorien wie die QCD anzuwenden. Um Methoden der statistischen Mechanik verwenden zu können, müssen wir die Minkowski- durch die euklidische Raumzeit ersetzen; die Zeit wird dabei als imaginäre Grösse behandelt. Dies ermöglicht es uns, anschliessend die Theorie auf einem vierdimensionalen Raumzeit-Gitter zu definieren. Es gibt dann keinen Unterschied zwischen Raum und Zeit mehr. Dies gestattet es, eine QFT wie ein Modell der klassischen statistischen Physik zu behandeln, was die einzige bekannte Möglichkeit darstellt, physikalische Eigenschaften solcher Theorien mit numerischen Simulationen zu untersuchen, die der konventionellen Störungstheorie nicht zugänglich sind. In unserer Arbeit tun wir dies, wenn auch nur für ein einfaches Modell.
Haben Sie vor, Ihre Methoden zur Erklärung experimenteller Entdeckungen in der Teilchenphysik anzuwenden?
In der Zukunft sicher; aber es ist noch ein langer Weg zu gehen, bis dies möglich ist. Unser gegenwärtiges Ziel ist es, ein besseres Verständnis der sog. Universalität im Bereich von Modellen der Quantenfeldtheorie zu erreichen. Man möchte verstehen, wieso verschiedene diskrete Regularisierungen von Quantenfeldtheorien in der Grenze, wo die Regularisierung aufgehoben wird, stets gegen dieselbe Theorie streben. Was neu an unserer Arbeit ist, ist die Tatsache, dass die Qubit-Regularisierung ohne Feineinstellung von Parametern dieselbe Physik reproduziert wie konventionelle Gitter-Regularisierungen im euklidischen Raumzeit Kontinuum.
Erklären Sie uns bitte, wieso es wichtig ist, den physikalischen Gehalt einer Quantenfeldtheorie ohne Feineinstellung von Parametern bestimmen zu können?
Bei der konventionellen Gitter-Regularisierung dieser QFT muss der Parameter, der die Wechselwirkungen des Systems beschreibt, eingestellt werden, um die Eigenschaften des BKT-Phasenübergangs zu erreichen. Dies nennt man eben Feineinstellung. Bei unserem Ansatz ist dies nicht notwendig: Die Eigenschaften des BKT-Übergangs ergeben sich für eine ganze Reihe von Parameterwerten. Dies ist unseres Wissens das erste Mal, dass ein solches Ergebnis in einem euklidischen Raumzeit-Kontinuum erhalten wurde. Sobald sich das System dem BKT-Phasenübergang nähert, konnten wir die Wechselwirkungen dieses Modells auf allen Energieskalen reproduzieren.
Was sind weitere besonders wichtige Aspekte Ihrer Ergebnisse?
Ein weiterer wichtiger Vorteil unserer Methode ist es, dass die Auswirkungen der endlichen Gittergrösse geringer ausfallen. Diese Effekte sind eben eine Folge der Durchführung der Berechnungen auf einem endlich-dimensionalen Gitter. Da wir an einer unendlichen Raumzeit interessiert sind, müssen wir die Gittergrösse schliesslich auf unendlich erweitern. Bei konventionellen Ansätzen sind Simulationen mit sehr grossen Gittern von etwa 108 Punkten erforderlich, um die Effekte der endlichen Gitterdimension zu reduzieren. Mit unserer Methode reichen Gitter mit nur einigen tausend Punkten aus, um die Fehler zu kontrollieren, die durch diese Effekte verursacht werden. Gewissermassen konnten wir mit unserem Ansatz eine schnellere Konvergenz zum Kontinuums Limes finden als mit herkömmlichen Methoden. Wir verstehen noch nicht ganz, warum das so ist, aber es ist eine wichtige Erkenntnis.
Literaturhinweis
Maiti, S., Debasish, B., Chandrasekharan, S. & Marinkovic, M.K. Asymptotic Freedom at the Berezinskii-Kosterlitz-Thouless Transition without Fine-Tuning using a Qubit Regularization. Phys. Rev. Lett. 132, 041601 (2024). externe Seite DOI:10.1103/PhysRevLett.132.041601