Die Quantenmechanik mit einem Kristall testen
ETH-Forschende haben einen Kristall in einen Quanten-Überlagerungszustand versetzt und gemessen, wie lange Quanteneffekte in den Schwingungen des Kristalls andauerten. Solche Messungen sind wichtig, um Obergrenzen für mögliche Modifikationen der Quantentheorie zu finden, die erklären könnten, warum wir im Alltag kein Quantenverhalten sehen.
Atome und andere winzige Objekte verhalten sich gemäss den Gesetzen der Quantenmechanik, wogegen grosse Dinge wie Fussbälle den Regeln der klassischen Mechanik folgen, die vor fast 340 Jahren von Isaac Newton aufgestellt wurden. Diese Tatsache, die Erstsemestern im Physikstudium beigebracht wird, hat zur Folge, dass ein Atom sich wie eine Welle verhalten und daher an mehr als einem Ort gleichzeitig sein kann - ein Fussball dagegen fliegt entweder ins Tor oder aber daran vorbei. Obwohl unzählige Experiment in den letzten hundert Jahren die seltsamen Eigenschaften von Quantenteilchen bestätigt haben, ist der tieferliegende Grund für das sehr unterschiedliche Verhalten von kleinen und grossen Dingen noch nicht vollständig erforscht.
Dr. Matteo Fadel, Branco Weiss Fellow an der ETH Zürich, ist es nun gemeinsam mit der Gruppe von Yiwen Chu am Labor für Festkörperphysik und Kolleg:innen in Dänemark und Deutschland gelungen, ein Kristall mit einer Masse von einem Mikrogramm in einen Quanten-Überlagerungszustand zu versetzen, um damit die Gültigkeit der Quantenmechanik in diesem makroskopischen Regime zu testen. Die Ergebnisse seiner Forschung, die soeben im Wissenschaftsjournal Physical Review Letters veröffentlicht wurden, sollten es möglich machen, die Quantenmechanik – und eventuelle Modifikationen derselben – mit schwereren Objekten als je zuvor zu testen.
In den letzten Jahrzehnten hat man grosse Fortschritte bei der Überprüfung der Quantenmechanik gemacht, indem man Atome und immer grösserer Moleküle interferieren liess. Im Fall der Moleküle wurde dies mit Hilfe von Beugungsgittern erreicht. In solch einem Gitter wird die zum Molekül gehörende quantenmechanische Welle in viele Teile aufgeteilt, welche dann wieder zusammengebracht werden und – wenn die Kohärenz zwischen den Teilen lange genug anhält – ein Interferenzmuster erzeugen. Solche Interferenzmuster sind für Moleküle beobachtet worden, die aus bis zu 2000 Atomen bestehen. «Für immer grössere Moleküle müssten allerdings die Schlitze des Beugungsgitters immer näher beieinander sein, weshalb diese Technik irgendwann unbrauchbar wird», sagt Fadel. Der Grund dafür ist, dass die Wellenlänge der quantenmechanischen Wellenfunktion eines Teilchens umso kleiner wird, je grösser dessen Masse ist.
Quantenzustände eines schwingenden Kristalls
Um die Quantenmechanik für Objekte mit grösserer Masse zu testen, verwendeten Fadel und sein Team daher eine andere Technik: so genannte Resonatoren für akustische Wellen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um kleine Plättchen eines Saphirkristalls, die in Schwingung versetzt werden, und diese wird dann gemessen. Um Schwingungen anzuregen, die quantenmechanische Überlagerungszustände darstellen – das Gegenstück zu einem Atom oder Molekül, das an zwei Orten zugleich ist –, ist der Kristall über den piezoelektrischen Effekt (der ein elektrisches Feld erzeugt, wenn ein Material verbogen wird) an einen supraleitenden Schaltkreis gekoppelt, der als Quanten-Bit oder Qubit fungiert, wie es auch in Quantencomputern verwendet wird. Ein Qubit kann einen von zwei möglichen Quantenzuständen annehmen, oder eine Überlagerung der beiden. Durch eine Kopplung des Qubits an den Kristall kann man den Überlagerungszustand des Qubits auf die kollektive Schwingung der Atome im Kristall übertragen. Zudem kann man mit dem Qubit anschliessend den Schwingungszustand des Kristalls messen.
Mit dieser Prozedur gelang es Fadel und seinen Mitarbeitenden, quantenmechanische Überlagerungszustände des Saphirkristalls herzustellen, die aus zehntausend Billionen Atomen besteht (eine Zahl mit 16 Nullen). Den Kristall, der etwa sechs Milliarden Mal pro Sekunde schwang, kühlten sie auf ein Hundertstel Grad über dem absoluten Nullpunkt ab, um so thermische Fluktuationen zu minimieren. Nachdem sie den Kristall in einen bestimmten Quantenzustand versetzt hatten, wiesen die Forschenden seinen Zustand zu verschiedenen Zeiten mit dem Qubit nach. So konnten sie herausfinden, ob der Schwingungszustand des Kristalls tatsächlich quantenmechanisch war oder aber mit klassischer Mechanik beschrieben werden konnte. In ihrem Experiment fanden sie Quanteneigenschaften der Schwingungen des Kristalls über bis zu 40 Mikrosekunden.
Mögliche Modifikationen der Quantenmechanik
«Zusammen mit der grossen Masse des Kristalls bedeutet diese Kohärenzzeit einen Test des quantenmechanischen Überlagerungsprinzips auf einem Niveau, das dem nahekommt, was derzeit mit Molekülinterferometern machbar ist», erklärt Fadel. «Mit ein paar Verbesserungen sollte es uns möglich sein, in naher Zukunft noch makroskopischere Zustände herzustellen und damit die mit Molekülen erzielten Ergebnisse zu übertreffen. So könnten wir dann die Quantenmechanik in bislang unerforschten Bereichen testen.» Fadels Fernziel ist es herauszufinden, was mit Quanteneffekten in mittleren Massebereichen passiert, also zwischen Atomen und Molekülen einerseits und wirklich makroskopischen Objekten andererseits. Einige derzeitige Theorien gehen davon aus, dass der Verlust der Quantenkohärenz mit zunehmender Grösse der Objekte in irgendeiner Weise in die Quantenmechanik eingebaut ist. Das würde allerdings bedeuten, dass die berühmte Schrödingergleichung – ein mathematisches Hilfsmittel, mit dem Physiker:innen Quantensysteme beschreiben – unvollständig ist und durch einen Zusatzterm ergänzt werden muss.
Die Ergebnisse, die Fadel und seinen Mitarbeitenden an der ETH nun erzielt haben, setzen eine Obergrenze für die mögliche Grösse eines solchen hypothetischen Zusatzterms. Herauszufinden, ob die Schrödingergleichung modifiziert werden muss, ist nicht nur für die Grundlagenforschung von grossem Interesse, wie Fadel betont: «Das würde wichtige Auswirkungen haben, zum Beispiel auf Quantencomputer und -sensoren.» Mit einer immer grösseren Anzahl an Qubits in solchen Quantengeräten könnten allein durch deren Grösse ausgelöste Dekohärenzeffekte zu bislang unbekannten Beschränkungen ihrer Funktionsfähigkeit führen.
Referenz
Björn Schrinski, Yu Yang, Uwe von Lüpke, Marius Bild, Yiwen Chu, Klaus Hornberger, Stefan Nimmrichter, and Matteo Fadel. Macroscopic Quantum Test with Bulk Acoustic Wave Resonators. Phys. Rev. Lett. 130, 133604 (2023). externe Seite doi: 10.1103/PhysRevLett.130.133604