Elektrische Kontrolle über Designer-Quantenmaterialien
Institute for Quantum Electronics (IQE)
In den vergangenen Jahren haben sich geeignet konstruierte Stapel zweidimensionaler Materialien als eine vielseitige Plattform für das Studium von Quantenkorrelationen zwischen elektronischen Zuständen herausgebildet. ETH-Physiker demonstrieren nun, wie sich wichtige Eigenschaften solcher Systeme flexibel durch Veränderung eines angelegten elektrischen Feldes einstellen lassen.
Die Eigenschaften und das Verhalten stark wechselwirkender Quantenteilchen zu erforschen ist ein höchst aktives Forschungsgebiet der modernen Physik. In diesem Gebiet gibt es nicht nur grosse offene Probleme, die auf Lösungen warten, einige davon seit Jahrzehnten (man denke an die Hochtemperatur-Supraleitung). Ebenso wichtig ist, dass es zahlreiche Aspekte der Quanten-Vielteilchenphysik gibt, die mit gegenwärtigen analytischen und numerischen Werkzeugen nicht oder nur ungenügend zugänglich sind. Gerade für diese Fälle werden experimentelle Plattformen gesucht, bei denen die Wechselwirkungen zwischen Teilchen sowohl kontrolliert als auch abgestimmt werden können, um so die systematische Erforschung grosser Parameterbereiche zu ermöglichen. Eine solche experimentelle Plattform sind sorgfältig konstruierte Stapel aus zweidimensionalen (2D) Materialien. In den letzten Jahren haben diese «Designer-Quantenmaterialien» einzigartige Studien korrelierter elektronischer Zustände ermöglicht. Die Stärke der Wechselwirkung zwischen den Quantenzuständen in diesen Materialien ist jedoch typischerweise bei der Herstellung fixiert. Nun berichtet die Gruppe von Professor Ataç Imamoğlu vom Institut für Quantenelektronik über einen Weg, diese Einschränkung zu umgehen. In der Fachzeitschrift Science stellen sie eine vielseitige Methode vor, mit der die Wechselwirkungsstärke in 2D-Heterostrukturen durch Anlegen elektrischer Felder verändert werden kann [1].
Den Dreh raus
Zweidimensionale Materialien stehen seit der ersten erfolgreichen Isolierung und Charakterisierung von Graphen – einzelnen Schichten von Kohlenstoffatomen – im Jahr 2004 im Fokus der Festkörperforschung. Seitdem expandierte das Feld in atemberaubender Geschwindigkeit. Es erhielt jedoch vor drei Jahren einen bemerkenswerten Schub, als gezeigt wurde, dass zwei leicht zueinander verdrehten Graphenschichten ein breites Spektrum faszinierender Phänomene beherbergen können, die von elektronischen Wechselwirkungen dominiert werden.
Solche «verdrehten Doppelschichten», auch Moiré-Strukturen genannt, wurden später auch mit anderen 2D-Materialien erzeugt, insbesondere mit Übergangsmetalldichalkogeniden (transition metal dichalcogenides, TMDs). Im vergangenen Jahr zeigte die Imamoğlu-Gruppe, dass zwei Einzelschichten des TMD-Materials Molybdändiselenid (MoSe2), getrennt durch eine einschichtige Barriere aus hexagonalem Bornitrid (hBN), Moiré-Strukturen ergeben, in denen stark korrelierte Quantenzustände entstehen [2]. Neben rein elektronischen Zuständen weisen diese Materialien auch hybride Licht-Materie-Zustände auf, die es letztendlich ermöglichen, diese Heterostrukturen durch optische Spektroskopie zu untersuchen – etwas, was mit Graphen nicht möglich ist.
Aber bei aller faszinierenden Vielteilchenphysik, zu der diese MoSe2/hBN/MoSe2-Strukturen Zugang bieten, sie teilen ein Manko mit vielen anderen Festkörperplattformen: Die Schlüsselparameter sind mehr oder weniger bei der Herstellung festgelegt. Um dies zu ändern, hat das Team um die Postdocs Ido Schwartz und Yuya Shimazaki nun ein Werkzeug eingeführt, das in Experimenten auf einer für seine Abstimmbarkeit berühmten Plattform weit verbreitet ist: ultrakalte atomare Quantengase.
Elektrifizierung der Feshbach-Resonanzen
Schwartz, Shimazaki und ihre Mitarbeitenden zeigten, dass sie in ihrem System eine sogenannte Feshbach-Resonanz induzieren können. Diese erlauben es im Wesentlichen, die Wechselwirkungsstärke zwischen Quantenteilchen abzustimmen indem sie mit einem gebundenen Zustand in Resonanz gebracht werden. In dem vom ETH-Team untersuchten Fall entstehen diese gebundenen Zustände zwischen einem Exziton (erzeugt durch die optischen Übergänge in ihrem System) in einer Schicht und einem Loch in der anderen Schicht. Wenn das Exziton und das Loch räumlich überlappen, so stellte sich heraus, dann können letztere zur gegenüberliegenden Schicht tunneln und so ein schichtübergreifendes Exziton-Loch-«Molekül» bilden können (siehe Abbildung). Entscheidend ist, dass die relevante Wechselwirkungsstärke der Exziton-Loch-Wechselwirkungen über die Schichten hinweg relativ einfach mit elektrischen Feldern verändert werden kann.
Diese elektrische Abstimmbarkeit der Bindungsenergie der «Feshbach-Moleküle» steht im Gegensatz zu atomaren Systemen, bei denen Feshbach-Resonanzen typischerweise mit Magnetfeldern gesteuert werden. Auch brachten die Experimente von Schwartz, Shimazaki et al. die ersten Feshbach-Resonanzen hervor, die in echten 2D-Systemen stattfinden. Wichtiger könnte jedoch sein, dass die elektrisch abstimmbaren Feshbach-Resonanzen, die jetzt in MoSe2/hBN/MoSe2-Heterostrukturen untersucht wurden, ein allgemeines Merkmal von Doppelschichtsystemen mit kohärentem Tunneln von Elektronen oder Löchern sein sollten. Dies bedeutet, dass der neu eingeführte «Abstimmknopf» zu einem vielseitigen Werkzeug für eine breite Palette von Festkörperplattformen auf Basis von 2D-Materialien werden könnte – was wiederum faszinierende Perspektiven für die breitere experimentelle Erforschung von Quanten-Vielteilchensystemen eröffnet.
Literaturhinweise
- Schwartz I, Shimazaki Y, Kuhlenkamp C, Watanabe K, Taniguchi T, Kroner M and Imamoğlu A. Observation of electrically tunable Feshbach resonances in twisted bilayer semiconductors. Science 374, 336–340 (2021). doi: externe Seite 10.1126/science.abj3831
- Shimazaki Y, Schwartz I, Watanabe K, Taniguchi T, Kroner M and Imamoğlu A. Strongly correlated electrons and hybrid excitons in a moiré heterostructure. Nature 580, 472–477 (2020). doi: externe Seite 10.1038/s41586-020-2191-2