Eine Verbindung zwischen Magnetismus und Bandtopologie
Laboratory for Solid State Physics (LFKP)
Materialien, die topologische elektronische Eigenschaften und Quantenmagnetismus vereinen, sind von grossem Interesse, weil sich in ihnen vielseitige Quanten-Vielteilchenphysik entfaltet und hinsichtlich möglicher Anwendungen in elektronischen Bauteilen. Für ein solches Material haben ETH-Physiker nun den mikroskopischen Mechanismus etabliert, der Magnetismus und elektronische Bandtopologie verbindet.
Dirac-Materie bezeichnet eine faszinierende Klasse von Materialien mit sehr besonderen Eigenschaften: Elektronen in diesen Materialien verhalten sich nämlich so, als hätten sie keine Masse. Das bekannteste Dirac-Material ist Graphen, aber in den vergangenen 15 Jahren wurden weitere Mitglieder dieser Klasse entdeckt. Jedes von ihnen dient als «Spielwiese» für die Erforschung ungewöhnlicher elektronischer Eigenschaften, von denen einige das Potential haben, neuartige Komponenten für die Elektronik zu ermöglichen. Auch wenn Dirac-Materie und andere sogenannte topologische Materialien – in denen sich Elektronen ähnlich unerwartet verhalten – zu den derzeit am intensivsten untersuchten Systemen in der Festkörperphysik gehören, so gibt es nur sehr wenige Beispiele, bei denen die Topologie der elektronischen Bänder in genau definierter Weise mit magnetischen Eigenschaften des Materials verbunden ist. Ein Material, bei dem ein solches Zusammenspiel zwischen topologischen elektronischen Zuständen und Magnetismus beobachtet wurde, ist CaMnBi2. Der Mechanismus, der die beiden Eigenschaften verbindet, blieb jedoch unklar. In einem im Fachjournal Physical Review Letters erschienenen Artikel [1] zeigen der Postdoktorand Run Yang und Doktorand Matteo Corasaniti aus der Gruppe für optische Spektroskopie von Prof. Leonardo Degiorgi am Laboratorium für Festkörperphysik nun, dass es ein leichte Verkippung der magnetischen Momente (bekannt als spin canting) wesentliche Veränderungen in der elektronischen Bandstruktur hervorruft. Diese Arbeit ist eine Zusammenarbeit mit Forschenden am Brookhaven National Laboratory (USA) und in der Chinesische Akademie der Wissenschaften in Peking.
Ein Kompass weist den Weg
CaMnBi2 und die verwandte Verbindung SrMnBi2 haben kürzlich Aufmerksamkeit auf sich gezogen, da sie gleichzeitig Quantenmagnetismus zeigen – die Mangan-Ionen sind bei Raumtemperatur und darunter antiferromagnetisch geordnet – und Dirac-Elektronen enthalten. Dass die beiden Eigenschaften in einer Art Wechselspiel stehen, wird seit einiger Zeit vermutet. Dies nicht zuletzt, da bei ~50 K eine unerwartete «Beule» in den Leitungseigenschaften dieser Materialien auftritt. Aber die genaue Natur dieser Anomalie war bis jetzt noch wenig verstanden.
In früheren Arbeiten zur Untersuchung der optischen Eigenschaften von CaMnBi2 [2] hatten Corasaniti, Yang und Mitarbeitende bereits eine Verbindung zu den elektronischen Eigenschaften des Materials hergestellt. Sie nutzten insbesondere die Tatsache, dass die Anomalie in den Transporteigenschaften dadurch verändert werden kann, dass ein Teil der Calciumatome durch Natriumatome ersetzt werden. Durch ein solches Dotieren verschiebt sich die Temperatur, bei welcher die Beule auftritt. Um zu den mikroskopischen Ursprüngen des beobachteten Verhaltens zu gelangen, untersuchten sie nun Proben mit unterschiedlichen Natriumdotierungen mittels Drehmomentmagnetometrie. Bei dieser Technik wird das Drehmoment an einer Magnetprobe gemessen, wenn sie einem starken Magnetfeld ausgesetzt ist, ähnlich wie sich eine Kompassnadel im Erdmagnetfeld ausrichtet. Und dieser Messungen hat das Team zu den Ursprüngen der Anomalie geführt.
Eine klare Verbindung zwischen magnetischen und elektronischen Eigenschaften
In ihren neuen Experimenten beobachteten die Forscher, dass bei Temperaturen, bei denen die elektronischen Transportmessungen keine Anomalie zeigen, das magnetische Verhalten so ist, wie man es von einem Antiferromagneten erwarten würde. Bei den tieferen Temperaturen, bei denen die Anomalie auftritt, war dies aber nicht mehr der Fall. Dort erschien in den Messungen eine ferromagnetische Komponente, die durch eine Projektion magnetischer Momente auf die Ebene orthogonal zur Vorzugsrichtung der ursprünglichen antiferromagnetischen Ordnung erklärt werden kann (siehe Abbildung). Dieses Phänomen ist als Spinverkippung (engl. spin canting) bekannt, das durch einen sogenannten Superaustauschmechanismus induziert wird.
Diese beiden Versuchsreihen – die optischen Messungen und die Drehmomentmessungen – wurden durch First-Principles-Berechnungen ergänzt. Wenn dir Spinverkippung in die Berechnungen einbezogen wurde, dann wurde eine besondere Hybridisierung zwischen den Mangan- und Wismutatomen gefunden, welche die magnetische Kopplung zwischen den Schichten des Materials vermittelt und die elektronischen Eigenschaften bestimmt. Zusammengenommen zeigt die Studie daher eine direkte Verbindung zwischen den magnetischen Eigenschaften und Änderungen der elektronischen Bandstruktur, die sich in der Transportanomalie widerspiegeln.
Mit diesem detaillierten Verständnis wird es nun möglich sein, nicht nur die elektronischen Eigenschaften von CaMnBi2 und verwandten Verbindungen zu untersuchen, sondern auch die Möglichkeiten, die sich aus dem Zusammenspiel zwischen magnetischen Eigenschaften und topologischen Zuständen in dieser faszinierenden Form von Materie ergeben.
Literaturhinweise
1. Yang R, Corasaniti M, Le CC, Liao ZY, Wang AF, Du Q, Petrovic C, Qiu XG, Hu JP, Degiorgi L. Spin-canting-induced band reconstruction in the Dirac material Ca1−xNaxMnBi2. Phys. Rev. Lett. 124, 137201 (2020). externe Seite doi: 10.1103/PhysRevLett.124.137201
2. Corasaniti M, Yang R, Pal A, Chinotti M, Degiorgi L, Wang A, Petrovic C. Fermi surface gapping in the Dirac material Ca1−xNaxMnBi2. Phys. Rev. B 100, 041107(R) (2019). externe Seite doi: 10.1103/PhysRevB.100.041107