Was für ein Sonn-tag
Astrophysics (IPA)
Am vergangenen Sonntagabend wurde der Solar-Orbiter-Satellit vom Kennedy Space Center der NASA in Cape Canaveral, Florida, ins All geschickt. Er soll beispiellose Bilder der Sonne aufzunehmen und neue Einblicke in ihr Verhalten liefern. Die ETH-Physikprofessorin Louise Harra war über zwei Jahrzehnte hinweg in allen Phasen des Projekts involviert.
Als die Atlas-V-Rakete am Sonntag um 23:03 Uhr über Cape Canaveral in den Nachthimmel stieg, war der Startschuss zu einem äusserst ehrgeizigen Projekt gefallen. Im obersten Segment der Rakete war der Solar-Orbiter-Satellit eingekapselt. Mit zehn wissenschaftlichen Instrumenten an Bord ist Solar Orbiter — eine Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), mit starker Beteiligung der US-amerikanischen Weltraumagentur NASA — auf dem Weg, neue Blickwinkel auf die Sonne zu eröffnen.
Vom Zeichenbrett zur Startrampe
Vor Ort in Florida war auch Louise Harra, vormalig Professorin am University College London und seit Mai 2019 Direktorin des Physikalisch-Meteorologischen Observatoriums Davos / World Radiation Center (PMOD/WRC) und affiliierte Professorin für Solare Astrophysik an der ETH Zürich. Harra ist eine weltweit führende Expertin auf dem Gebiet der Sonnenphysik und massgeblich an der Solar-Orbiter-Mission beteiligt. Sie war seit ihren Anfängen dabei, als die Mission in den frühen 2000er Jahren konzipiert wurde. Später trug sie zur Sicherung der Finanzierung dieses Projekts bei, dessen Gesamtkosten sich auf rund 1,5 Milliarden CHF laufen, ebenso wie zur Engineering-Phase und, nun nach dem erfolgreichen Start, zum Betrieb und schliesslich zur Datenanalyse.
«Eine Mischung von Emotionen»
Der Start war der Höhepunkt nach einer sehr langen Vorbereitungszeit und war entsprechend durch Emotionen gekennzeichnet. Dies umso mehr als dass es aufgrund technischer und wetterbedingter Probleme zu zwei Verzögerungen bei der Startzeit kam. «Der eigentliche Start verlief reibungslos», sagt Harra. «Viele derer, die über zwei Jahrzehnte hinweg an der Mission gearbeitet hatten, waren aus ganz Europa und den USA gekommen, um die ‹Abreise› zu sehen.» Die Tage in Florida waren «eine Mischung von Emotionen», sagt sie, «aus Spannung, Glücksgefühl und Unruhe angesichts der nächsten Schritte». Soweit verlief alles nach Plan: «Das Raumschiff befindet sich in der richtigen Umlaufbahn, die Sonnenkollektoren sind im Einsatz und Kommunikation wurde hergestellt.»
Solar Orbiter soll nun ein Meilenstein in unserem Verständnis der Sonne werden. Seine Mission ist es, die Sonne aus relativ geringer Entfernung und aus neuen Blickwinkeln zu beobachten. Der Satellit wird sich der Sonne bis auf 42 Millionen Kilometer nähern, was ungefähr einem Drittel der durchschnittlichen Entfernung zwischen Erde und Sonne entspricht. Aufgrund dieser relativen Nähe kann Solar Orbiter im Gegensatz zu anderen Satelliten, die die Sonne beobachten, über einer bestimmten Region der Sonne schweben und ihr folgen. Bei anderen Satelliten dreht sich die Oberfläche unter dem Satelliten. Darüber hinaus wird die Flugbahn von Solar Orbiter, wenn er die Sonne umkreist, ihn zu relativ hohen Breitengraden bringen. Konkret, Solar Orbiter wird die Pole aus einem Winkel von mehr als 30 Grad aufnehmen, während der Betrachtungswinkel von der Erde aus bestenfalls 7 Grad beträgt. Dies bedeutet, dass Solar Orbiter die ersten Bilder der Sonnenpole nach Hause senden wird. «In dieser Phase wird die Mission garantiert völlig neue Ergebnisse liefern», so Harra, «da wir die Pole noch nie zuvor gesehen haben.»
Etwas Neues über der Sonne
Die Sonne unter solchen neuen Gesichtspunkten zu studieren ist wichtig, insbesondere um die Sonnenkorona — die Plasmaschickt, welche den Stern umgibt — zu verstehen. Die Korona hat eine Temperatur von rund einer Million Grad, während die Oberflächentemperatur bei «nur» ca. 6000 °C liegt. Warum die Korona so enorm heiss ist, ist nicht vollständig geklärt. Ein Schlüssel zum Verständnis der koronalen Erwärmung liegt jedoch beim Magnetfeld der Sonne. In dieser Hinsicht sind die Polarregionen, wo die magnetischen Feldlinien entspringen, besonders interessant. Mit dem Magnetfeld hängen auch Eruptionen auf der Sonnenoberfläche zusammen und die daraus resultierenden koronalen Massenauswürfe. Diese Auswürfe sind verantwortlich für energiereichen «Sonnenwind», der auf der Erde zu Polarlichtern führt, aber auch Satelliten (und damit globale Navigationssysteme), Stromnetze und die Luftfahrt kritisch stören kann, was entsprechend hohe Kosten verursacht. Bessere Vorhersagen des «Weltraumwetters» stehen zwar nicht im Mittelpunkt wissenschaftlicher Missionen wie Solar Orbiter, aber die Einblicke in die physikalischen Mechanismen, die dem Verhalten der Sonne zugrunde liegen, werden ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis der Auswirkungen auf die Erde sein. «Derzeit sind Weltraumwettervorhersagen einfach nicht genau genug, um Warnungen auszugeben, die dazu beitragen könnten, schädliche Auswirkungen auf kritische Infrastrukturen zu mildern», sagt Harra. «Heute sind wir mit Weltraumwettervorhersagen auf einer Stufe, auf der wir vor 50 Jahren mit Vorhersagen für terrestrisches Wetter waren.»
Wichtige Beiträge aus der Schweiz
Die «Augen und Nasen» von Solar Orbiter, mit denen die Sonnenkorona und die Sonnenwinde abgebildet und analysiert werden, sind zehn wissenschaftliche Instrumente. Harra ist Co-Principal Investigator eines von ihnen, des EUI (Extreme Ultraviolet Imager). Darüber hinaus war PMOD/WRC am SPICE (Spectral Imaging of the Coronal Environment) Instrument beteiligt. Ein weiterer entscheidender Beitrag der Schweizer Solarphysik-Gemeinschaft ist das STIX-Instrument (X-ray Spectrometer/Telescope), für welches Säm Krucker von der FHNW Windisch der Principal Investigator ist.
Generationenübergreifende Projekte
Für Harra ist Solar Orbiter die zweite grosse Mission, die sie begleitet. Die erste war die Hinode-Mission, ein geozentrischer Satellit, der 2006 ins All geschickt wurde und voraussichtlich bis Mitte der 2020er-Jahre in Betrieb sein wird. Hinode verfügt über drei zentrale Instrumente zur Untersuchung der Sonne, darunter das Extreme-Ultraviolet Imaging Spectrometer (EIS), für das Harra der Principal Investigator ist. Hinode, ursprünglich als dreijährige Mission geplant, schickt immer noch Daten zur Erde, und Solar Orbiter ist nun für das spannende Kapitel der Datenerfassung bereit — und schon konzentriert sich Harra auf die nächste Mission. Im vergangenen Jahr hat die ESA für die Voyage-2050-Mission ein Weissbuch verfasst. Harra und ihr Team haben ein Kapitel zur Erforschung der Sonnenpolarregionen verfasst, mit der Vision, schliesslich weitere einzigartige Einblicke in magnetische Phänomene auf der Sonnenoberfläche und in den koronalen Massenauswurf zu erhalten. Und während das Schicksal der Mission Voyage 2050 sozusagen noch in den Sternen steht, erfüllt dieses Projekt bereits einen sehr realen Zweck: «Es inspiriert Studierende», so Harra. «Es ist grossartig zu sehen, wie mit jedem Projekt — Hinode, Solar Orbiter und Voyage 2050 — eine neue Generation hochmotivierter Wissenschaftler entsteht, die im Verlauf dieser langfristigen Projekte zusammenwachsen und zur Familie werden.»
Links
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- externe Seite call_made Hinode
- externe Seite call_made Voyage 2050