Momentaufnahme der Geburt von Photoelektronen
Institute for Quantum Electronics (IQE)
Die Erzeugung von Photoelektronen durch Ionisation ist einer der grundlegendsten Prozesse in der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie. Es bleiben jedoch grundlegende Fragen, wie Photonen ihren linearen Impuls auf Elektronen übertragen. Mit der ersten Sub-Femtosekunden-Untersuchung des linearen Photonenimpulstransfers während eines Ionisationsprozesses haben ETH-Forschende nun beispiellose Einblicke in die Entstehung von Photoelektronen gewonnen.
Die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie ist die Grundlage sowohl vieler grundlegender Phänomene als auch verschiedener praktischer Technologien. Am bekanntesten ist der photoelektrische Effekt, in dem Elektronen von einem Material emittiert werden, wenn es mit Licht von geeigneter Wellenlänge bestrahlt wird. Lange Zeit blieb der Ursprung des Phänomens ein Rätsel, und erst mit dem Aufkommen der Quantentheorie – und dank des Genies von Albert Einstein – wurde der Effekt vollständig verstanden. Einstein erhielt 1921 den Nobelpreis für Physik für seine Entdeckung der zugrundeliegenden Gesetze. Seitdem wurde der Effekt für Anwendungen genutzt, die von der Spektroskopie bis zu Nachtsichtgeräten reichen. In einigen wichtigen Fällen geht es nicht nur darum, dass Energie von Photonen auf Elektronen übertragen wird, sondern auch lineares Moments (sprich, Impuls). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn mit Laserlicht mikroskopische und makroskopische Objekte gekühlt werden, oder das Phänomen des Strahlungsdrucks verstanden werden soll.
Trotz der grundlegenden Bedeutung der Impulsübertragung sind die genauen Details, wie Licht sein Moment auf Materie überträgt, noch nicht vollständig verstanden. Ein Grund dafür ist, dass sich der übertragene Impuls während eines optischen Zyklus auf extrem schnellen Sub-Femtosekunden-Zeitskalen ändert. Bisherige Studien lieferten hauptsächlich Informationen zum zeitlich gemittelten Verhalten, wobei zeitabhängige Aspekte des Impuls-Transfers während der Photoionisation fehlten. Diese Lücke hat nun die Gruppe von Ursula Keller vom Institut für Quantenelektronik geschlossen, wie sie in einem heute in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Artikel berichtet.
Sie untersuchten den Fall hoher Laserintensitäten, bei denen mehrere Photonen am Ionisationsprozess beteiligt sind, und bestimmten, wie viel Impuls in Richtung der Laserausbreitung übertragen wird. Um eine ausreichende zeitliche Auflösung zu erreichen, verwendeten sie die sogenannte Attoclock-Technik, die im vergangenen Jahrzehnt im Keller-Labor entwickelt und verfeinert wurde. Bei diesem Verfahren wird eine Attosekunden-Zeitauflösung erreicht, ohne Attosekunden-Laserpulse erzeugen zu müssen. Stattdessen werden Informationen über den rotierenden Laserfeldvektor von annähernd zirkular polarisiertem Licht verwendet, um die Zeit relativ zum Ionisationsereignis mit einer Genauigkeit von Attosekunden zu messen. Sehr ähnlich dem Zeiger einer Uhr – nur dass der Zeiger innerhalb eines optischen Zyklus von 11,3 Femtosekunden Dauer eine volle Umdrehung macht.
Mit diesem vielseitigen Werkzeug konnten die ETH-Physikerinnen und -Physiker bestimmen, wie viel Impuls Photoelektronen gewonnen haben, in Abhängigkeit des Zeitpunkts ihrer „Geburt“. Sie fanden heraus, dass die in Ausbreitungsrichtung des Lasers übertragene Impulsmenge tatsächlich davon abhängt, wann das Elektron während des Oszillationszyklus des Lasers von der Materie (in ihrem Fall aus Xenonatomen) "befreit" wird. Dies bedeutet, dass zumindest für das untersuchte Szenario das zeitlich gemittelte Strahlungsdruckbild nicht anwendbar ist. Interessanterweise können sie das beobachtete Verhalten nahezu vollständig innerhalb eines klassischen Modells reproduzieren, während viele Szenarien der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie, wie die Compton-Streuung, nur innerhalb eines quantenmechanischen Modells erklärt werden können.
Das klassische Modell musste jedoch erweitert werden, um die Wechselwirkung zwischen dem ausgehenden Photoelektron und dem zurückbleibenden Xenonion zu berücksichtigen. Diese Wechselwirkung führt, wie sie in ihren Experimenten zeigten, zu einer zusätzlichen Attosekundenverzögerung beim Timings des linearen Impulsübergangs im Vergleich zur theoretischen Vorhersage für ein freies Elektron, das während des Pulses geboren wird. Ob solche Verzögerungen eine generelle Eigenschaft der Photoionisation sind oder nur für die in der vorliegenden Studie untersuchten Szenarien gelten, bleibt vorerst offen. Fest steht jedoch, dass die Keller-Gruppe mit dieser ersten Untersuchung der linearen Impulsübertragung während der Ionisierung auf der natürlichen Zeitskala des Prozesses einen neuen aufregenden Weg eröffnet hat, um die grundlegende Natur der Wechselwirkungen zwischen Licht und Materie zu erforschen – und damit ein zentrales Versprechen der Attosekunden-Wissenschaft einlöst.
Literaturhinweis
Willenberg B, Maurer J, Mayer BW, Keller U: Sub-cycle time resolution of multi-photon momentum transfer in strong-field ionization. Nat. Commun. 10, 5548 (2019). externe Seite doi:10.1038/s41467-019-13409-6