Ein Blick auf Licht und Materie
- Laboratory for Solid State Physics (LFKP)
- Institute for Quantum Electronics (IQE)
In sogenannten Polaritonen sind Licht- und Materiezustände stark miteinander gekoppelt. Die Gruppe von Ataç İmamoğlu hat nun einen neuen Ansatz entwickelt, um nichtlineare optische Eigenschaften solcher "Quasiteichen" in stark korrelierten elektronischen Zuständen zu untersuchen. Sie eröffnen damit neue Perspektiven sowohl für die Photonik wie auch für die Erforschung von exotischen Vielteilchenzuständen.
Das Konzept der „Quasiteilchen“ ist ein äusserst erfolgreiches Gerüst zur Beschreibung komplexer Phänomene, die in Vielkörpersystemen auftreten. Eine Spezies von Quasiteilchen, die in den letzten Jahren besonderes Interesse geweckt haben, sind Polaritonen in Halbleitermaterialien. Diese entstehen durch die Bestrahlung von Halbleitern mit Licht, wodurch elektronische Polarisationswellen, sogenannte Exzitonen, angeregt werden. Auf diese Anregung folgt eine Periode, in welcher die Dynamik des Systems als jene eines "Teilchens" beschrieben werden kann, das weder Licht ist noch Materie ist, sondern eine Überlagerung der beiden. Erst nachdem diese Quasiteilchen zerfallen ist – typischerweise auf der Zeitskala von Pikosekunden – gewinnen die Photonen ihre individuelle Identität zurück. In der Fachzeitschrift Nature beschreiben Patrick Knüppel und Kollegen in der Gruppe von Professor Ataç İmamoğlu am Institut für Quantenelektronik nun Experimente, bei denen die freigesetzten Photonen einzigartige Informationen über den Halbleiter enthüllen; gleichzeitig sind die Photonen nach der Reflektion am Halbleiter auf eine Weise modifiziert, die ohne die Wechselwirkung mit dem Material nicht möglich gewesen wäre.
Neue Tricks für Photonen
Das jüngste Interesse an Polaritonen beruht zu einem wesentlichen Teil auf der Aussicht, dass sie faszinierende neue Möglichkeiten in der Photonik eröffnen. Insbesondere bieten Polaritonen die Möglichkeit, Photonen etwas tun zu lassen, was diese sonst nicht können: miteinander wechselzuwirken. Sich kreuzende Lichtstrahlen gehen normalerweise einfach durcheinander durch. Im Gegensatz dazu können Photonen, die in Polaritonen gebunden sind, durch den Materieteil miteinander interagieren. Wenn diese Wechselwirkung zwischen Polaritonen ausreichend stark gemacht werden kann, dann können die Eigenschaften von Photonen auf neue Weise genutzt werden, beispielsweise für die Verarbeitung von Quanteninformationen oder in neuartigen optischen Quantenmaterialien. Wechselwirkungen zu erzielen, die für solche Anwendungen stark genug sind, ist jedoch alles andere als eine leichte Aufgabe.
Schon die Erzeugung von Polaritonen ist eine Herausforderung. Das Halbleitermaterial muss in einem optischen Resonator platziert werden, um eine starke Kopplung zwischen Materie und Licht zu ermöglichen. Solche Resonatorstrukturen zu schaffen ist etwas, was die İmamoğlu Gruppe im Laufe der Jahre in Zusammenarbeit mit anderen perfektioniert hat, insbesondere mit der Gruppe von Professor Werner Wegscheider im Laboratorium für Festkörperphysik der ETH Zürich. Eine separate Herausforderung besteht darin, die Wechselwirkung zwischen den Polaritonen so stark zu machen, dass sie während der kurzen Lebensdauer der Quasiteilchen einen wesentlichen Effekt haben. Wie eine derart starke Polariton-Polariton-Wechselwirkung erzielt werden kann, ist derzeit ein grosses offenes Problem auf diesem Gebiet, und es behindert den Fortschritt Richtung praktische Anwendungen. Und hier haben Knüppel et al. mit ihrer neuesten Arbeit nun einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Der Hall starker Wechselwirkungen
Die ETH-Physiker haben einen unerwarteten Weg gefunden, um die Wechselwirkung zwischen Polaritonen zu erhöhen, und zwar durch eine geeignete Präparation der Elektronen, mit denen die Photonen in Wechselwirkung treten. Sie präparierten die Elektronen im sogenannten fraktionalen Quanten-Hall-Regime, wo Elektronen in zwei Dimensionen eingeschlossen und einem hohen Magnetfeld ausgesetzt werden. AUf diese Weise bilden sich hochkorrelierte Zustände aus, die vollständig von Elektronen-Elektronen-Wechselwirkungen getrieben sind. Für bestimmte Werte des angelegten Magnetfelds – dieses bestimmt den sogenannten Füllfaktor, welcher den Quanten-Hall-Zustand charakterisiert – beobachteten sie, dass Photonen, die vom Halbleitermaterial reflektiert werden, deutliche Signaturen einer optischen Kopplung an den Quanten-Hall-Zustände aufweisen (siehe Abbildung).
Wichtig dabei ist, dass die Abhängigkeit des optischen Signals vom Füllfaktor des Elektronensystems auch im nichtlinearen Teil des Signals auftrat. Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass die Polaritonen miteinander wechselwirken. Im fraktionalen Quanten-Hall-Regime waren die Polariton-Polariton-Wechselwirkungen bis zu einem Faktor von zehn stärker als in Experimenten mit Elektronen ausserhalb dieses Regimes. Diese Verbesserung um eine Grössenordnung ist ein bedeutender Fortschritt relativ zu den derzeitigen Fähigkeiten und könnte ausreichen, um wichtige Experimente in der „Polaritonik“ (z. B. die starke Polaritonenblockade) zu ermöglichen. Dies nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass in den Experimenten von Knüppel et al. die stärkere Wechselwirkung nicht zu Lasten der Lebensdauer der Polaritonen erreicht wurde, im Gegensatz zu vielen früheren Versuchen.
Die Möglichkeiten und Herausforderungen der nichtlinearen Optik
Abgesehen von den Implikationen für die Manipulation von Licht eröffnen diese Experimente auch neue Möglichkeiten zur optischen Charakterisierung von Vielkörperzuständen zweidimensionaler Elektronensysteme. Sie zeigen, wie der schwache nichtlineare Beitrag zum optischen Signal vom dominanten linearen Anteil getrennt werden kann. Möglich wurde dies durch ein neuartiges Experiment, das die ETH-Forscher entwickelt haben. Eine grosse Herausforderung bestand darin, sicherzustellen, dass die auf den Halbleiter auftreffenden Photonen die fragilen Elektronenzustände nicht zerstören, insbesondere durch die Ionisierung von eingeschlossenen Ladungen. Um dies zu gewährleisten, entwarf das İmamoğlu-Wegscheider-Team eine Probenstruktur mit reduzierter Lichtempfindlichkeit und führte Experimente mit gepulster statt kontinuierlicher optischer Anregung durch, um die Lichtexposition zu minimieren.
Die jetzt entwickelten Methoden zur Messung der nichtlinearen optischen Antwort von Quanten-Hall-Zuständen sollte neue Einblicke ermöglichen, die über das hinausgehen, was mit linearen optischen Messungen oder in den traditionell verwendeten Transportexperimenten möglich ist. Dies ist eine gute Neuigkeit für diejenigen, die das Zusammenspiel von photonischen Anregungen und zweidimensionalen Elektronensystemen untersuchen – ein Gebiet, in dem es nicht an offenen wissenschaftlichen Problemen mangelt.
Literaturhinweis
Knüppel P, Ravets S, Kroner M, Fält S, Wegscheider W, Imamoglu A. Nonlinear optics in the fractional quantum Hall regime. Nature externe Seite doi: 10.1038/s41586-019-1356-3 (2019). externe Seite Kostenfrei zugängliche Version