Zerfall des Higgs-Bosons in Bottom-Quarks beobachtet
Particle Physics (IPA)
Am 2. Dezember ist die zweite Messperiode des Large Hadron Collider (LHC) am CERN zu Ende gegangen. Der jüngste Höhepunkt des LHC-Programms war die Beobachtung des Zerfalls des Higgs-Bosons in ein Paar von Bottom-Quarks. ETH-Physiker hatten eine führende Rolle bei diesen wegweisenden Experimenten.
Die Ankündigung vom 4. Juli 2012, dass am CERN ein mit den Eigenschaften des Higgs-Bosons kompatibles Teilchen entdeckt wurde, markierte einen Durchbruch in der Teilchenphysik. Das Bild des Standardmodells war endlich vollständig. Seitdem sind verschiedene Eigenschaften des neuen Teilchens gemessen worden, und alle zeigen, dass das Teilchen sich so verhält, wie es für das Higgs-Boson des Standardmodells vorhergesagt wird.
Das Programm zur Erforschung der Higgs-Physik und zur Überprüfung, ob das experimentell beobachtete Verhalten mit den Vorhersagen des Standardmodells übereinstimmt, basiert auf der Untersuchung von Wechselwirkungen mit anderen Teilchen und den Zerfall in diese. Die Entdeckung des Higgs-Bosons von 2012 basierte wesentlich auf die Analyse von zwei bestimmten Zerfallskanälen: dem Zerfall in zwei Photonen und dem Zerfall in zwei Z-Bosonen, die wiederum jeweils in zwei Leptonen zerfallen. Diese beiden Zerfallskanäle sind beide ziemlich selten (mit Verzweigungsverhältnissen in der Grössenordnung von 10-3 bzw. 10-4), aber sie sind relativ "sauber", im Sinne, dass der Hintergrund, der von anderen Prozessen herrührt, für diese Prozesse gut gehandhabt werden kann.
Im Gegensatz dazu ist der Zerfallskanal mit dem höchsten Verzweigungsverhältnis von einem überwältigend starken Hintergrund begleitet. In 58% aller Fälle zerfällt das Higgs-Boson nämlich in ein Paar von Bottom-Quarks (H→bb̄), aber für jedes auf diese Weise erzeugte Paar von Bottom-Quarks werden in Proton-Proton-Kollisionen bei den relevanten Energien rund 107 Paare durch andere Vorgänge erzeugt. Die Beobachtung des H→bb̄-Zerfalls gilt jedoch als ein wichtiger Meilenstein des „Higgs-Programms“, nicht zuletzt da das Bottom-Quark das schwerste Fermion ist, in das ein Higgs-Boson zerfallen kann. (Der Zerfall in das noch schwerere Top-Quark ist kinematisch unmöglich, aber die Produktion von Higgs-Bosonen in Verbindung mit Top-Quark-Paaren wurde Anfang dieses Jahres beobachtet.)
Die Spreu vom Weizen trennen
Dass der H→bb̄-Zerfall nun beobachtet wurde, ist hauptsächlich der Tatsache zu verdanken, dass mehrerer Kanäle analysiert wurden, durch die das Higgs-Boson produziert werden kann. Für die Suche nach H→bb̄-Ereignissen sind diejenigen Prozesse am relevantesten, bei denen das Higgs-Boson in Verbindung mit einem Vektor-Boson (d.h., einem Z- oder einem W-Boson) produziert wird. Diese Route wird als „VH-Produktion“ bezeichnet und ist insofern besonders, als dass die Kinematik des H→bb̄-Zerfalls mit jener kombiniert werden kann, mit der Z- und W-Bosonen zerfallen. Letztere verlaufen in die entgegengesetzte Richtung (siehe Abbildung oben).
Die Vektorbosonen können in ein geladenes Lepton und ein Neutrino (für W) und in ein Paar von Neutrinos oder ein Paar geladener Leptonen (für Z) zerfallen. Die geladenen Leptonen liefern wichtige Hinweise auf VH-Ereignisse. Diese Informationen helfen wiederum, um auf Signale zu schliessen, die von H→bb̄-Zerfällen herrühren, und diese von Hintergrundereignissen zu unterscheiden, die von anderen Prozessen stammen. Die Aufgabe, Signal von Hintergrund zu trennen, ist dennoch enorm schwierig, selbst wenn der LHC-Beschleuniger hervorragende Daten liefert. Erst mit der Entwicklung raffinierter Analysewerkzeuge, darunter moderne Machine-Learning-Techniken wie tiefe neuronale Netzwerke (deep neural networks, DNNs), konnte die Analyseempfindlichkeit schliesslich so weit erhöht werden, dass ausreichend hohe Signal-zu-Hintergrund-Verhältnisse erzielt wurden.
Zentrale Beiträge von ETH-Gruppen
Der VH-Kanal ist seit 2010 ein Schwerpunkt der ETH-Gruppe von Christoph Grab am Institut für Teilchenphysik und Astrophysik des Departement Physik. Innerhalb der CMS-Kollaboration — das Compact-Muon-Solenoid-Experiment, CMS, ist einer der beiden LHC-Detektoren — hat seine Gruppe die volle Verantwortung für den Kanal übernommen, in dem ein Z-Boson in Paare von geladenen Leptonen zerfällt. Damit leistete die Gruppe einen unmittelbaren Beitrag zur Beobachtung des H→bb̄-Zerfalls. Die Rolle der ETH-Physiker wurde dadurch unterstrichen, dass einer von Grabs Postdocs, Luca Perrozzi, gebeten wurde, die Ergebnisse der CMS-Kollaboration vorzustellen, als am 28. August 2018 die H→bb̄-Beobachtung am CERN angekündigt wurde.
Im Laufe der Jahre haben die ETH-Gruppen von Rainer Wallny und Günther Dissertori in ähnlicher Weise wichtige Beiträge zur Entdeckung des Higgs-Bosons und zum anschliessenden Programm zur Erforschung der Physik des neu entdeckten Teilchens geleistet, beispielsweise durch die Arbeit an den Kanälen, durch welche das Higgs-Boson in Photonenpaare zerfällt, und die Analyse der Higgs-Produktion in Verbindung mit einem Top-Quark-Paar. Darüber hinaus tragen alle drei Gruppen (wie auch die frühere Gruppe von Felicitas Pauss, die 2016 in den Ruhestand getreten ist) zur allgemeinen Arbeit in den Bereichen Kalorimeter, Tracking und Softwareentwicklung bei.
Was den H→bb̄-Zerfall angeht, so wird derzeit an einem „Legacy-Paper“ gearbeitet, in welchem der vollständige Datensatz der beiden LHC-Runs (2009–2013 und 2015–2018) in einer übergreifenden Analyse verwendet wird. In der Zwischenzeit ist der LHC bis 2021 stillgelegt; in dieser Phase werden umfangreiche Wartungsarbeiten, Upgrades und Konsolidierungen durchgeführt.
Literaturhinweise
Sirunyan AM et al. (CMS Collaboration). Observation of Higgs boson decay to bottom quarks. Phys. Rev. Lett. 121, 121801 (2018). doi: externe Seite 10.1103/PhysRevLett.121.121801
Haber HE. Higgs decay into bottom quarks seen at last. externe Seite APS-Viewpoint-Artikel