Ein aufschlussreiches Nullresultat
Particle Physics (IPA)
Eine experimentelle Suche nach axionischer Dunkler Materie endete, nicht unerwarteterweise, ohne Entdeckung. Die Experimente bieten jedoch wertvolle Einsichten in die Eigenschaften, die diese hypothetischen Teilchen haben können — und somit eine Leitschnur für zukünftige Experimente.
Unter Paul Scherrers Doktoranden war Fritz Zwicky (1898–1974) einer, der auffiel. Als vielseitig interessierter Mensch arbeitete Zwicky zunächst unter Scherrer und Peter Debye an der ETH Zürich an der Theorie von Ionenkristalle, zog dann in die USA, um wichtige Beiträge zu zahlreichen Bereichen der Astronomie zu leisten, und entwickelte später die "morphologische Analyse", ein allgemeiner heuristischer Ansatz zur Lösung von komplexen Problemen. Ein ungelöstes Problem hinterliess der Schweizer Astronom jedoch, und dieses hält Wissenschaftler bis heute auf Trab: 1933 veröffentlichte er eine Arbeit über die Orbitalgeschwindigkeiten von Objekten im Coma-Galaxienhaufen, und er kam zum Schluss, dass die Massendichte in diesem Cluster um ein Vielfaches höher sein musste als jene, für welche die "sichtbare" Materie in diesem System verantwortlich ist. Mit anderen Worten: in den astrophysikalischen Beobachtungen wird nicht die gesamte Masse des Galaxienhaufens detektiert. Heute wissen wir, dass nur rund 15% der Materie im Universum aus gewöhnlicher, sichtbarer Materie besteht. Der grosse Rest ist unsichtbare "dunkle" Materie. Woraus diese fehlenden Komponenten — zu denen auch dunkle Energie gehört — besteht, bleibt eines der grossen Rätsel der modernen Wissenschaft. Während die Natur der Dunklen Materie unbekannt ist, gibt es zumindest eine Reihe an Beobachtungen, welche die erlaubten Energien und Kopplungsstärken von Dunkle-Materie-Teilchen einschränken. Neue Ergebnisse einer PSI-basierten internationalen Zusammenarbeit, die nun in Physical Review X veröffentlicht wurden, fügen weitere Grenzen hinzu, und dies in einem Energiebereich, der bisher weitgehend unerforscht blieb.
Suche im Dunklen
Die Natur der Dunklen Materie ist noch weitgehend offen ist, aber ihre charakteristischen Anziehungskraft ist gut dokumentiert. Insbesondere die räumliche Verteilung der Dunklen Materie wird in immer grösserem Detail bekannt, dank Himmelsdurchmusterungen wie dem momentan laufenden Dark Energy Survey (DES). Aus astronomischen Beobachtungen folgen auch eine Reihe von Einschränkungen für die Eigenschaften, die Dunkle-Materie-Teilchen haben können. Diese können sich nicht nur über ihre Schwerkraft bemerkbar machen, sondern mitunter auch direkt mit gewöhnlicher Materie wechselwirken. Dies öffnet ein Fenster für Laborversuche. Da nicht klar ist, welche Form solche nicht-gravitativen Wechselwirkungen annehmen würden, werden diese Experimente von theoretischen Modellen geleitet. Die meisten experimentellen Programme konzentrierten sich bisher auf sogenannte schwach wechselwirkende massereiche Teilchen (weakly interacting massive particles, WIMPs). Die Suche nach WIMPs beinhaltet typischerweise die Detektion von Streu- oder Annihilationsereignissen (oder alternativ die Erzeugung von WIMPs in Hochenergiekollisionen). Experimente in diese Richtung sind bisher leer ausgegangen. Und ebenso die Suche nach einer anderen Klasse von möglichen Dunkle-Materie-Teilchen, den sogenannten Axionen.
Axionen wurden ursprünglich als Lösung für das starke CP-Problem in der Quantenchromodynamik (QCD) eingeführt, aber diese Teilchen würden auch Dunkle Materie auf eine relativ natürliche Art und Weise erklären. Aber niemand hat bisher Axionen oder axionen-ähnliche Teilchen (Axionen mit anderen Parameterwerten als die für das QCD-Axion) entdeckt. Die bisher einzige systematische Suche nach Axionen hat nach der Umwandlung von Axionen in Photonen gesucht, typischerweise im Mikrowellenbereich (das heisst, bei GHz-Frequenzen). In neueren theoretischen Arbeiten wurde jedoch vorgeschlagen, nach der Kopplungen zwischen Axionen und Nukleonen sowie zwischen Axionen und den in den Nukleonen enthaltenen Gluonen zu suchen. Unabhängig davon wurde in theoretischen Arbeiten gezeigt, dass sogenannte ultraleichte Axionen im nHz-Bereich mögliche Dunkle-Materie-Kandidaten sind. Dies motivierte die nEDM-Kollaboration — Wissenschaftler aus sieben Ländern, darunter Prof. Klaus Kirch und sein Team am PSI und dem Institut für Teilchen- und Astrophysik der ETH Zürich — zu einer Suche nach Axionen im Nano- bis Milli-Hertz-Bereich, und damit in einem Massebereich, der erheblich unter jenem früherer experimenteller Programme liegt.
Eine neue Art, nach Dunkler Materie zu suchen
Der Ansatz des internationalen Teams bestand nicht darin, nach seltenen Einzelereignissen (wie Streu- oder Annihilationsereignissen bzw. Umwandlung einzelner Teilchen) zu suchen, sondern nach einem kontinuierlich oszillierenden axionenartigen Hintergrundfeld, welches mit gewöhnlicher Materie interagiert. Es wurde nämlich vorausgesagt, dass axionenähnliche Felder harmonische Oszillationen im elektrischen Dipolmoment (EDM) und in den Energieniveaus des Neutrons und von Atomen induzieren. Da diese Wechselwirkungen jedoch äusserst schwach sind, werden höchstempfindliche Experimente benötigt, um diese Effekte zu messen.
Die nEDM-Kollaboration verfügt über solche hochpräzise Daten für das EDM des Neutrons (daher der Name der Kollaboration). Mit ihrer Apparatur haben sie zwischen 1998 und 2002 am Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble (Frankreich) die derzeit präzisesten veröffentlichten Daten zum Neutronen-EDM gemessen. Der dort verwendete Versuchsaufbau wurde anschliessend demontiert und am PSI in Villigen (Schweiz) wieder zusammengesetzt, wo er verbessert und in den letzten Jahren zur Messung von weiteren hochpräzisen Daten verwendet wurde. In diesen Experimenten wird im wesentlichen die Kernresonanzfrequenz (NMR-Frequenz) von Neutronen und Quecksilberatomen bestimmt und geprüft, ob sich diese Frequenz ändert, wenn sich die Spins nicht nur in einem magnetischen, sondern auch im einem elektrischen Feld bewegen. (Bisher haben diese Messungen zu Ergebnissen geführt, die mit einem EDM von null vereinbar sind.)
Daten-Rezykling
Die an den beiden Experimenten beteiligten Partner haben ihre Neutronen-EDM-Daten nun sorgfältig durchkämmt, um nach zeitlichen Variationen zu suchen, die möglicherweise durch axionenähnliche Dunkle Materie verursacht wurden. Da die Daten am ILL und am PSI in unterschiedlicher Weise aufgenommen wurden, decken sie verschiedene Frequenzbereiche ab: Für die ILL-Daten sind es Schwingungsperioden in der Grössenordnung von Tagen und länger, und für die PSI-Daten Schwingungsperioden bis runter zu Minuten. Für beide Frequenzbereiche endete die Suche mit einem Nullresultat — es wurde kein Signal entdeckt, welches eindeutig auf die Anwesenheit von Axionen hindeutet. Auf diese Weise hat das Team jedoch die ersten "Laborwerte" für die Kopplung von axionenähnlicher Dunkler Materie an Gluonen erhalten. Im Vergleich mit astrophysikalischen Beobachtungen wurden die Grenzwerte um bis zu drei Grössenordnungen verbessert. Darüber hinaus verbessern die erzielten Ergebnisse die bisherigen in Laborexperimenten bestimmten Grenzen für die Kopplung zwischen Axionen und Nukleonen um einen Faktor von bis zu 40. Zusammengenommen schränken diese Ergebnisse die Stärke der Wechselwirkungen in einem Axionen-Massenbereich ein, in dem bisher nur wenige Daten verfügbar waren.
Mit diesen neuen Einschränkungen für ultraleichte axionenähnliche Dunkle Materie können die neuen Resultate dafür genutzt werden, zukünftige Experimente zu planen und Modelle zu verfeinern. Darüber hinaus wird der Ansatz, nach Signaturen von oszillierenden Signalen in existierenden hochpräzisen Daten zu suchen, gegenwärtig auch in anderen Experimenten weltweit verfolgt. Zudem werden momentan dedizierte neue Experimente für die Suche nach axionenähnlichen Teilchen konstruiert. Diese Anstrengungen sollten uns Schritt für Schritt dem Ziel näher bringen, endlich das Geheimnis zu lüften, welches Zwicky und so viele nach ihm rätseln lies.
Text basierend auf einem Artikel des Bereiches externe Seite Forschung mit Neutronen und Myonen des PSI. (externe Seite Originalartikel)
Originalpublikation
1. C. Abel et al.
Search for axionlike dark matter through nuclear spin precession in electric and magnetic fields
Physical Review X 7, 041034 (2017). externe Seite doi: 10.1103/PhysRevX.7.041034
Weitere Literatur
Porträt zu ETH-Doktorand Michał Rawlik, Co-Korrespondent dieser Arbeit, in Naturwissenschaften Schweiz: externe Seite Ein Hauch von Magnetismus