Neues Mikroskopiekonzept tritt in Kraft
Die erste praktische Demonstration eines Ansatzes, der das Standardparadigma der Rastersondenmikroskopie umkehrt, bringt die Aussicht auf Kraftmessungen an der Grenze des physikalisch Möglichen.
Die Entwicklung von Rastersondenmikroskopen in den frühen 1980er Jahren brachte einen Durchbruch in der Bildgebung und öffnete ein Fenster in die Welt im Nanometerbereich. Die Schlüsselidee besteht darin, eine extrem scharfe Nadel über ein Substrat zu scannen und an jeder Stelle die Stärke der Wechselwirkung zwischen Spitze und Oberfläche aufzuzeichnen. In der Rasterkraftmikroskopie ist diese Wechselwirkung — wie der Name schon sagt — die Kraft zwischen Nadel und Strukturen auf der Oberfläche. Diese Kraft wird typischerweise bestimmt, indem gemessen wird, wie sich die Dynamik einer vibrierenden Nadel ändert, wenn sie Objekte abtastet die sich auf einem Substrat befinden. Als Analogie kann man sich vorstellen, mit dem Finger über einen Tisch zu klopfen und Objekte auf der Oberfläche zu ertasten. Ein Team unter der Leitung von Alexander Eichler, Senior Scientist in der Gruppe von Prof. Christian Degen am Laboratorium für Festkörperphysik, stellte dieses Paradigma nun auf den Kopf. In Physical Review Applied beschreiben sie das erste Rasterkraftmikroskop, bei dem die Nadel in Ruhe ist, während das Substrat mit den Proben darauf schwingt.
«Der Schwanz wedelt mit dem Hund»
Kraftmikroskopie mittels «Vibrieren des Tisches unter dem Finger» mag so klingen, also ob der gesamte Vorgang erheblich komplizierter gemacht wird. In einem gewissem Sinne ist dem so. Die Komplexität dieses umgekehrten Ansatzes geht jedoch mit einem entscheidenden Vorteil einher. Die neue Methode verspricht nämlich, Kraftmikroskopie mit einer die Empfindlichkeit durchführen zu können, die an der Grenze des physikalisch Möglichen liegt. Eine solche Empfindlichkeit ist vom herkömmlichen Ansatz auch mit weiteren Verbesserungen nicht zu erwarten.
Der Schlüssel zur überlegenen Empfindlichkeit ist die Wahl des Substrats. In den Experimenten von Eichler, Degen und ihrem Team besteht der «Tisch» aus einer perforierte Membran aus Siliziumnitrid mit einer Dicke von nur 41 Nanometern. Dir ETH-Physikerinnen und -Physiker arbeiten mit der Gruppe von Albert Schliesser an der Universität Kopenhagen in Dänemark zusammen, welche diese leichten Siliziumnitridmembranen als herausragende nanomechanische Resonatoren mit extremen «Qualitätsfaktoren» etabliert. Konkret, nach einem Antippen vibriert die Membran millionenfach oder öfter bevor sie zur Ruhe kommt. Angesichts dieser exquisiten mechanischen Eigenschaften ist es vorteilhaft, den «Tisch» anstelle des «Fingers» zu vibrieren. Zumindest im Prinzip.
Neues Konzept in die Praxis umgesetzt
Die Umsetzung dieses theoretischen Versprechens in experimentelle Fähigkeiten ist das Ziel eines laufenden Projekts zwischen den Gruppen von Degen und Schliesser, mit Unterstützung von Dr. Ramasubramanian Chitra und Prof. Oded Zilberberg vom Institut für Theoretische Physik der ETH Zürich. Als Meilenstein auf diesem Weg haben die experimentellen Gruppen nun gezeigt, dass das Konzept der membranbasierten Rasterkraftmikroskopie in die Realität umgesetzt werden kann.
Insbesondere zeigten sie, dass weder das Beladen der Membran mit Proben noch die Präsenz der Nadel in einem Abstand von wenigen Nanometern die aussergewöhnlichen mechanischen Eigenschaften der Membran beeinträchtigt. Sobald sich die Nadel der Probe noch mehr nähert, ändert sich die Frequenz oder Amplitude der Membran. Um diese Änderungen messen zu können, weist die Membran nicht nur eine Insel auf, wo die Nadel und Probe interagieren, sondern auch eine zweite — mechanisch mit der ersten gekoppelte — Insel, von der aus ein Laserstrahl teilweise reflektiert werden kann, um empfindliche interferometrische Messungen durchführen zu können.
Bis ans äusserste Limit
Dieses Setup hat das Team nun genutzt, um Goldnanopartikel und Tabakmosaikviren erfolgreich auflösen. Diese Bilder zeigen, dass das neuartige Mikroskopiekonzept funktioniert, sie bringen jedoch noch keine grundlegend neuen Einsichten. Aber das Ziel ist genau das. Die Forschenden planen, ihren neuartigen Ansatz mit einer als Magnetresonanzkraftmikroskopie (MRFM) bekannten Technik zu kombinieren, um Magnetresonanztomographie (MRT) mit einer Auflösung von einzelnen Atome zu ermöglichen und so einzigartige Einblicke beispielsweise in Viren zu erhalten.
«Atomare MRT» wäre ein weiterer Durchbruch in der Bildgebung, da sie die ultimative räumliche Auflösung mit hochspezifischen physikalischen und chemischen Informationen über die abgebildeten Atome kombinieren würde. Zur Verwirklichung dieser Vision wird eine Empfindlichkeit nahe der von der Quantenmechanik vorgegebenen Grenze benötigt. Das Team ist zuversichtlich, einen solchen «quantenbegrenzten» Kraftsensor durch weitere Fortschritte sowohl in der Membrantechnologie als auch in der Messmethode realisieren zu können. Mit der jetzigen Demonstration, dass membranbasierte Rasterkraftmikroskopie möglich ist, ist das ehrgeizige Ziel nun einen grossen Schritt näher gekommen.
Literaturhinweis
Hälg D, Gisler T, Tsaturyan Y, Catalini L, Grob U, Krass M-D, Héritier M, Mattiat H, Thamm A-K, Schirhagl R, Langman EC, Schliesser A, Degen CL, Eichler A: Membrane-based scanning force microscopy. Phys. Rev. Appl. 15, L021001 (2021). DOI: externe Seite 10.1103/PhysRevApplied.15.L021001 Preprint: externe Seite arXiv:2006.06238
Weitere Literatur
Schirber M: Force Scanning on a Shaky Membrane. externe Seite Physics 14, 19 (2021).