Wenn die Erde ein Exoplanet wäre
Ein Forscherteam des Instituts für Teilchenphysik und Astrophysik der ETH Zürich und der Universität Zürich stellten sich die Frage, ob die LIFE-Weltraummission Beweise für eine bewohnbare und bewohnte Erde finden könnte – die Antwort ist positiv.
Der Teil der Exoplanetenforschung, der sich mit der Bewohnbarkeit von Planeten beschäftigt, befasst sich mit ausserordentlich grossen Fragen: Welche Formen von Leben könnten andere Planeten bewohnen? Was ist eine eindeutige Biosignatur, d. h. ein Beweis für Leben, und wie kann sie nachgewiesen werden? Und was ist das eigentlich, das Leben? Angesichts dieser Komplexität macht es Sinn, so viel als möglich von der einen uns bekannten bewohnbaren Welt – unserer eigenen – zu lernen.
In einer soeben in der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal veröffentlichten Arbeit, untersuchten Forschenden der ETH Zürich und der Universität Zürich, wie gut eine mögliche zukünftige Weltraummission namens externe Seite Large Interferometer for Exoplanets (LIFE) die Erde im Hinblick auf ihre Bewohnbarkeit charakterisieren könnte. LIFE wurde entwickelt, um terrestrische Exoplaneten in der bewohnbaren Zone ihrer Wirtssterne zu untersuchen, indem die spektralen Emissionen im mittleren Infrarot (MIR) gemessen werden. Diese Emissionen geben Aufschluss über die Atmosphäre und die Oberfläche der jeweiligen Planeten. Das Team kommt zu dem Schluss, dass LIFE die Erde erfolgreich als bewohnbaren Planeten identifizieren würde. Und zwar indem es Signaturen wichtiger atmosphärischer Spezies wie Kohlendioxid, Wasser und Ozon findet und das gemässigte Klima des Planeten sowie Oberflächenbedingungen, die flüssiges Wasser ermöglichen, nachweist.
Die Erde aus der Ferne betrachtet
Zwei Fragen stehen im Mittelpunkt der Arbeit: Erstens, wenn LIFE die Erde beobachten würde, welche Art von MIR-Spektren würde es erfassen? Wie bei jedem Exoplaneten wäre LIFE so weit von der Erde entfernt, dass der Planet wie ein funktionsloser Fleck aussehen würde, ein einzelner Pixel auf einem digitalen Bild. Die Spektren wären dann räumliche und zeitliche Mittelwerte, die davon abhängen, welche Ansichten des Planeten (auch Beobachtungsgeometrien genannt) LIFE einfangen würde und wie lange. Wenn diese gemittelten Spektren dann analysiert würden, um Informationen über die Erdatmosphäre und die Oberflächenbedingungen zu erhalten, wie würden die Ergebnisse von Faktoren wie der Betrachtungsgeometrie und jahreszeitlichen Schwankungen abhängen? Das Besondere an der vorliegenden Untersuchung ist, dass das Team die Fähigkeit von LIFE an realen statt an simulierten Spektren getestet hat: Sie verwendeten Klimadaten aus der Fernerkundung der Erde von NASAs Atmospheric Infrared Sounder an Bord des Aqua-Satelliten. So erstellten sie solche MIR-Emissionsspektren, wie sie bei zukünftigen Beobachtungen von Exoplaneten erfasst werden könnten. Die Forscher betrachteten vier Beobachtungsgeometrien: Die beiden Ansichten von den Polen und zwei zusätzliche äquatoriale Ansichten. Dabei konzentrierten sie sich auf Daten, die in den Monaten Januar und Juli aufgenommen wurden, um die grössten saisonalen Veränderungen zu berücksichtigen.
Erstautor Dr. Jean-Noël Mettler, der vor kurzem seine Promotion unter der Leitung der Koautoren Professor Sascha Quanz, ETH Zürich und Professorin Ravit Helled, Universität Zürich abgeschlossen hat, arbeitete an den MIR-Emissionsspektren. Die Schritte, die zu dieser Studie geführt haben, der zwei ähnliche Publikationen in den Jahren 2020 und 2023 vorausgegangen sind, kann er zurückverfolgen. «In der ersten Arbeit analysierten wir Satellitendaten, um herauszufinden, ob wir aus den thermischen Emissionsdaten Hinweise auf eine Saisonalität auf der Erde ableiten können. In der zweiten Arbeit gingen wir davon aus, dass die Erde weit entfernt ist, und untersuchten die zeitliche Variabilität ihres thermischen Spektrums für Beobachtungsgeometrien der vollen Ansicht der Scheiben», erklärt Mettler. «Jetzt haben wir die Spektren, die wir in der zweiten Arbeit untersucht haben, als Input für eine aktuelle Simulation dessen verwendet, was LIFE uns über einen terrestrischen Exoplaneten sagen könnte».
Mit LIFE auf der Suche nach Leben
Das wichtigste Ergebnis der Studie ist ermutigend: Wenn LIFE den (Exo-)Planeten Erde beobachten würde, würde es quantitative Beweise für eine gemäsigte, bewohnbare Welt finden. Das Team fand nachweisbare Konzentrationen der atmosphärischen Gase CO2, H2O, O3 und CH4 sowie Oberflächenbedingungen, die für das Vorhandensein von flüssigem Wasser günstig sind. Der Nachweis von O3 und CH4 ist besonders wichtig, da diese Gase von der Biosphäre der Erde produziert werden – sie sind als atmosphärische Biosignaturen bekannt. Diese Ergebnisse sind im Wesentlichen unabhängig von der Beobachtungsgeometrie: Das ist eine gute Nachricht, denn die genaue Beobachtungsgeometrie wird bei zukünftigen Beobachtungen von terrestrischen Exoplaneten wahrscheinlich unbekannt sein.
Die rekonstruierten Abundanzen der atmosphärischen Gase sind auch unabhängig von der betrachteten Jahreszeit, was in erster Linie eine gute Nachricht ist. Allerdings deutet dieses Ergebnis auch darauf hin, dass eine Mission wie LIFE – zumindest mit der Auflösung und dem Signal-Rausch-Verhältnis, die in der Studie betrachtet werden – möglicherweise nicht in der Lage ist, die atmosphärische Saison eines Exoplaneten zu erkennen, die als kleine saisonale Variation einiger molekularer Biosignaturen beabsichtigt ist.
Das langfristige Spiel
Die Idee, ein Infrarot-Nulling-Interferometer zur Charakterisierung von Exoplaneten einzusetzen, stammt aus den siebziger Jahren. Sowohl die ESA als auch die NASA verfolgten in den neunziger und den frühen nuller Jahren Untersuchungen in dieser Richtung: Die Missionskonzepte Darwin der ESA und TPF-I der NASA, die zwischen 1996 und 2007 entwickelt wurden und im mittleren Infrarotbereich operieren sollten, können als Vorläufer von LIFE angesehen werden. Entscheidend ist, dass die meisten technologischen Komponenten, die für ein weltraumgestütztes Nulling-Interferometer erforderlich sind, inzwischen in relevanten Umgebungen getestet und validiert wurden - was vor siebzehn Jahren noch nicht der Fall war.
Die von Mettler, Konrad, Quanz und Helled verfasste Arbeit hat auch einen illustren Vorgänger. Im Oktober 1993 veröffentlichten der Astronom Carl Sagan und seine Kollegen einen Artikel mit dem Titel externe Seite "A search for life on Earth from the Galileo spacecraft" (Suche nach Leben auf der Erde durch die Raumsonde Galileo): Das Team nutzte den nahen Vorbeiflug von Galileo an der Erde auf dem Weg zum Jupiter und analysierte die von den Instrumenten der Raumsonde gesammelten Daten. Dabei entdeckten sie atmosphärischen Sauerstoff und Methan sowie ein starkes Absorptionsmerkmal im Infrarotbereich des Emissionsspektrums, das auf das Vorhandensein von Vegetation zurückzuführen ist. Sagan und seine Mitautoren betrachteten diesen Beweis als «starkes Indiz für Leben auf der Erde». Die Arbeit wurde zu einem wegweisenden Kontrollexperiment für die Exoplanetenforschung.
Eine rechnerische Herausforderung
Die MIR-Spektren sind der eine wichtige Bestandteil der Arbeit, der andere ist die so genannte atmosphärische Abfrage-Routine. Dabei handelt es sich um das Berechnungs-Framework, dass die Emissionsspektren der Erde als Eingabe verwendet und eine atmosphärische Charakterisierung der Planetenatmosphäre ausgibt, die ein Druck-Temperatur-Profil und Werteintervalle für die Häufigkeit der atmosphärischen Gase umfasst. Erstautor Björn Konrad, Doktorand in der Quanz-Gruppe Exoplaneten und Habitabilität, arbeitete an der Abfrage-Routine und an der Charakterisierung ihrer Genauigkeit und Robustheit. Durch den Vergleich der abgefragten Informationen mit den so genannten "Ground Truths", d. h. den Häufigkeiten atmosphärischer Gase und einer Druck-Temperatur-Struktur, die aus vorhandenen Satellitendaten gewonnen wurden, konnte das Team die Grenzen des Abrufsystems und die ihm innewohnenden Verzerrungen bewerten. So stellten sie beispielsweise fest, dass die ermittelten Werte des Oberflächendrucks systematisch unterschätzt wurden, was wiederum zu einer Überschätzung aller Gashäufigkeiten führte.
«Die Abfrage-Routine ist rechenintensiv, daher ist die Komplexität des für die Abfrage verwendeten Vorwärtsmodells begrenzt», so Konrad. Das Vorwärtsmodell umfasst eine Reihe von Parametern für die Modellatmosphäre - hier eine eindimensionale Säule - sowie ein parametrisiertes Druck-Temperatur-Profil und eine Simulation des Strahlungstransfers in der Modellatmosphäre. Konrad befasst sich nun mit zwei der Hauptmängel des Vorwärtsmodells, dass in dieser Arbeit das Vorhandensein von Wolken vernachlässigte und von vertikal konstanten Gasmengen ausging. Die letztgenannte Annahme ist besonders ungeeignet für Wasser, das bekanntermassen mit abnehmendem Druck in seiner Häufigkeit stark abnimmt. «Die gesamte Exoplaneten-Gemeinschaft bereitet sich auf immer grössere Datenmengen vor, die in Zukunft von immer kleineren Planeten kommen werden», sagt Quanz, «und es gibt atmosphärische Merkmale, die für alle terrestrischen Exoplaneten von Bedeutung sind – das Profil der Wasserhäufigkeit ist eines davon». Aus diesem Grund freuen sich Konrad und Quanz darauf, die in der Studie vorgestellten Ergebnisse weiter zu verfolgen. Ein tieferes Verständnis der Auswirkungen der Annahmen sowie die Möglichkeit, Ergebnisse aus Messungen der Exoplaneten Atmosphären vereinfachen zu können, wird über die LIFE-Mission hinaus Wirkung entfalten.
Die hardware für die Software
Das Large Interferometer for Exoplanets (LIFE), dass vom Schweizerischen Nationalen Forschungsschwerpunkt externe Seite PlanetS unterstützt wird, ist ein Missionskonzept, das sich auf eine Formation fliegender "Kollektor-Teleskope" mit einem "Kombinations-Raumschiff" in ihrem Zentrum stützt, um ein interferometrisches Nulling-Verfahren im mittleren Infrarotbereich zu realisieren. Das bedeutet, dass das vom Wirtsstern eines beobachteten terrestrischen Exoplaneten stammende Lichtsignal wird durch destruktive Interferenz gelöscht. Im Jahr 2020 gab das LIFE-Team den Startschuss für das Nulling Interferometric Cryogenic Experiment for LIFE (NICE), das darauf abzielt, ein laborgestütztes Testsystem zur Demonstration der Nulling-Interferometrie mit festgelegten Anforderungen an die Unterdrückung des Sternenlichts und die Stabilität unter anspruchsvollen kryogenen Bedingungen aufzubauen.
In diesem Jahr beginnt eine neue LIFE-Zusammenarbeit mit den Professoren Jérôme Faist und Rachel Grange, beide vom Departement Physik der ETH Zürich, die parallel zum NICE-Projekt läuft und das Potenzial der integrierten Optik für das LIFE-Konzept erforschen wird. Die Möglichkeit, sperrige Spiegel und andere optische Elemente, die anfällig für Ausrichtungsfehler sind, durch photonische Chips zu ersetzen, würde sowohl die Nutzlast als auch die Komplexität des Systems verringern. Doch es gibt noch viele offene Fragen zu klären, weshalb die neue Zusammenarbeit drei spezielle Doktorandenstellen mit gemeinsamer Betreuung umfassen wird.
Aus dem Englischen übersetzt von Kilian Kessler
Literaturhinweis
Mettler, J.-N., Konrad, B.S., Quanz, S.P. & Helled, R. Earth as an Exoplanet. III. Using Empirical Thermal Emission Spectra as Input for Atmospheric Retrieval of an Earth-twin Exoplanet. ApJ 963, 24 (2024). externe Seite DOI 10.3847/1538-4357/ad198b
Weitere Lektüre
Mettler, J.-N., Quanz, S.P. & Helled, R. Earth as an Exoplanet. I. Time Variable Thermal Emission Using Spatially Resolved Moderate Imaging Spectroradiometer Data. AJ 160 246 (2020). externe Seite DOI 10.3847/1538-3881/abbc15
Mettler, J.-N., Quanz, S.P., Helled, R., Olson, S.L., & Schwieterman, E.W. Earth as an Exoplanet. II. Earth's Time-variable Thermal Emission and Its Atmospheric Seasonality of Bioindicators. ApJ 946 82 (2023). externe Seite DOI 10.3847/1538-4357/acbe3c