Thermoelektrischer Richtungswechsel
Institute for Quantum Electronics (IQE)
ETH-Forschende haben gezeigt, dass eine winzige Wolke von Atomen von einer Wärmekraftmaschine in einen Kühler verwandelt werden kann, wenn die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen erhöht wird. Diese Experimente bieten sowohl tiefe fundamentale Einblicke als auch eine mögliche Vorlage für effizientere thermoelektrische Geräte.
Wenn ein leitendes Material an einem seiner Enden erwärmt wird, dann kann sich eine Spannungsdifferenz aufbauen, die wiederum in einen Strom umgewandelt werden kann. Dies ist der sogenannte Seebeck-Effekt, der Eckpfeiler der thermoelektrischen Effekte. Insbesondere bietet der Effekt einen Weg zur Gewinnung von Arbeit aus einem Temperaturunterschied. Thermoelektrische Motoren haben keine beweglichen Teile und sind daher als Stromquellen für verschiedenste Anwendungen geeignet, zum Beispiel zum Antrieb des Marsrovers Perseverance der NASA. Der Seebeck-Effekt ist auch für die Grundlagenphysik interessant, da die Stärke und das Vorzeichen des induzierten thermoelektrischen Stroms für das Material charakteristisch sind und Indizien liefern, wie Entropie- und Ladungsströme gekoppelt sind. Die Gruppe von Prof. Tilman Esslinger vom Institut für Quantenelektronik schreibt nun in der Fachzeitschrift Physical Review X über die kontrollierte Umkehrung eines solchen Stroms. Sie ändern dafür die Wechselwirkungsstärke zwischen den Bestandteilen eines Quantensimulators aus extrem kalten Atomen, die im einem speziell geformten Lichtfeld eines Lasers gefangen sind. Die Fähigkeit, eine solche Umkehrung zu induzieren, bedeutet, dass das System von einem thermoelektrischen Motor in einen Kühler umgewandelt werden kann.
In welche Richtung soll es gehen?
Das Experiment, das der Doktorand Samuel Häusler und Kolleginnen und Kollegen in der Esslinger-Gruppe durchgeführt haben, beginnt mit einer Wolke fermionischer Lithiumatome, die auf Temperaturen abgekühlt sind, die so niedrig sind, dass Quanteneffekte das Verhalten des Ensembles bestimmen. Die Wolke wird dann in zwei unabhängige Hälften gleicher Atomzahl aufgeteilt. Eine davon wird erwärmt, und danach werden die beiden Reservoire durch einen zweidimensionalen Kanal verbunden. Der sich darauf hin entwickelnde Gleichgewichtszustand ist wie erwartet: Nach einer ausreichend langen Zeit enthalten die beiden Reservoire bei gleichen Temperaturen gleiche Atomzahlen. Interessanter ist der Weg zu diesem Gleichgewichtszustand. Während des Prozesses ändert sich die Zahl der Atome in jedem Reservoir, wobei die Teilchen zwischen den beiden Wolken hin und her fliessen. In welche Richtung und mit welcher Amplitude dies geschieht, hängt von den thermoelektrischen Eigenschaften des Systems ab.
Dank der exquisiten Kontrolle über das System konnten die Forscher das transiente Verhalten für verschiedene Wechselwirkungsstärken und Atomdichten innerhalb des Kanals messen und mit einem einfachen Modell vergleichen. Im Gegensatz zu Festkörpersystemen, bei denen die meisten thermoelektrischen Eigenschaften in einfachen, genau definierten Experimenten gemessen werden können, werden in diesen kleinen Atomwolken die Parameter aus Grundgrössen wie der Atomdichte abgeleitet. Ein Schlüsselpunkt der Arbeit war es, ein Verfahren zu finden, mit dem die thermoelektrischen Grössen über einen weiten Bereich von Parametern richtig extrahiert werden können.
Das Team stellte fest, dass die Flussrichtung aus einem Wettbewerb zwischen zwei Effekten resultiert (siehe Abbildung unten). Einerseits (links) begünstigen die thermodynamischen Eigenschaften der Reservoire die Erhöhung der Atomzahl im heissen Reservoir, um die chemischen Potentiale der beiden Hälften auszugleichen. Andererseits (rechts) erleichtern die Eigenschaften des Kanals typischerweise den Transport heisser, energetischer Atome – da ihnen eine grosse Anzahl möglicher Wege ("Moden") zur Verfügung steht – was zu einer Erhöhung der Atomzahl im kalten Reservoir führt.
Ein superfluider Verkehrsregler
Für ein nichtwechselwirkendes Gas ist es möglich, den dominierenden Trend zwischen den beiden konkurrierenden Effekten zu berechnen, sobald die genaue Form der Atomwolke bekannt ist und entsprechend berücksichtigt wird. Im System von Häusler et al. kann dies mit grosser Genauigkeit gemacht werden. Sowohl die Berechnungen als auch die Messungen zeigen, dass der anfängliche Atomstrom vom heissen zum kalten Reservoir fliesst, und dass er bei niedrigen Atomdichten im Kanal stärker ist. Wenn die Wechselwirkungen zwischen den Atomen jedoch so eingestellt werden, dass sie im sogenannten unitären Regime sind, dann wird das Verhalten des Systems erheblich schwieriger vorherzusagen. Die Berechnung wird aufgrund der starken Korrelationen, die sich im Gas aufbauen, ohne weitreichende Annäherungen unlösbar.
In diesem Regime liefert der Quantensimulator der ETH-Forschenden wertvolle Resultate. Die Experimente zeigen, dass bei ausreichend hoher mittlerer Temperatur und niedriger Atomdichte im Kanal der Strom wieder vom heissen zum kalten Reservoir fliesst. Die Richtung kann jedoch umgekehrt werden, wenn die Kanaldichte mittels eines attraktiven Gatter-Potentials erhöht wird. Oberhalb einer bestimmten Dichteschwelle durchlaufen die Atome im Kanal einen Phasenübergang, bei dem sie Paare bilden, die ein superfluides Verhalten zeigen. Dieser superfluide Bereich im Kanal begrenzt den Transport ungepaarter energetischer Teilchen und begünstigt den Transport vom kalten zum heissen Reservoir und damit die Umkehrung des thermoelektrischen Stroms.
Dank Wechselwirkungen zu besseren thermoelektrischen Materialien
Das Verständnis der Eigenschaften von Materie durch thermoelektrische Messung verbessert das grundlegende Verständnis wechselwirkender Quantensysteme. Ebenso wichtig ist es, neue Wege zu finden, um leistungsfähige thermoelektrische Materialien zu entwickeln, die kleine Wärmedifferenzen effizient in Arbeit umwandeln oder im umgekehrten Modus als Kühlvorrichtung (diese werden als Peltier-Kühler bezeichnet) fungieren können.
Der Wirkungsgrad eines thermoelektrischen Materials ist durch die thermoelektrische Gütezahl gekennzeichnet. Häusler et al. haben beim Einschalten von Wechselwirkungen zwischen ihren Atomen einen starken Anstieg dieses Werts gemessen. Während diese Verbesserung nicht direkt in die Materialwissenschaften übertragen werden kann, könnte diese hervorragende Kühlfähigkeit bereits genutzt werden, um niedrigere Temperaturen für Atomgase zu erreichen, was wiederum eine breite Palette neuartiger grundlegender Experimente in der Quantenwissenschaft ermöglichen sollte.
Literaturhinweis
Häusler S, Fabritius P, Mohan J, Lebrat M, Corman L, Esslinger T: Interaction-assisted reversal of thermopower with ultracold atoms. Phys. Rev. X 11, 021034 (2021). externe Seite DOI: 10.1103/PhysRevX.11.021034